Glücklicher Zufall

Serendipity: Scherze des Schicksals

miramax
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Wer Probleme lösen soll oder Innovationen nachjagt, hofft auf die wundersame Fügung. Dieser kann man ein wenig auf die Sprünge helfen.

Wer erinnert sich daran, als mitten in der Finanzkrise das Buzzword „Resilienz“ aufkam? Man bluffte, es längst zu kennen, googelte es heimlich und flocht es fortan elegant in eigene Sätze. Heute lernen schon Schulkinder, dass Resilienz Widerstandsfähigkeit bedeutet. Als „dicke Haut“ wäre es nie zum Buzzword avanciert.

Dasselbe passiert gerade mit „Serendipity“. Beim ersten Hören denkt der eine an Schlangen, der andere an den gleichnamigen Hollywoodfilm mit John Cusack und Kate Beckinsale. Deutsche Übersetzung: „Weil es dich gibt“ (mit „Serendipity“ wusste wohl auch der Übersetzer nichts anzufangen). Im Film begegnet sich ein augenscheinlich füreinander geschaffenes Pärchen, das es sich bloß nicht zu leicht machen will. Sie schreibt ihre Telefonnummer in ein Buch, dem er den ganzen Film lang nachjagt. Am Ende hilft ihnen der Zufall auf die Sprünge.

Womit wir Serendipity auch schon definiert haben: im weiteren Sinn als Glück, das uns in den Schoß fällt; im engeren als geistige Haltung, die uns überhaupt erst für unverhoffte Entdeckungen empfänglich macht. Das Erste ist passiv, das Zweite aktiv. Damit passt das neue In-Wort wunderbar zum Managementgeist unserer Zeit. War in den Gesundschrumpf-Jahren der Finanzkrise nichts so wichtig wie Widerstands- und Überlebensfähigkeit, giert die Welt jetzt nach Innovation. Für diese braucht es ein Gespür für glückliche Zufälle.

Berühmte Zufallsprodukte

Serendipität ist natürlich nicht neu. 1980, im letzten Album vor seinem Tod, schrieb John Lennon die Zeilen „Leben ist, was dir passiert, während du andere Pläne schmiedest“. Der heute 74-jährige holländische „Serendipitologe“ Menko Victor („Pek“) van Andel klassifizierte mehr als tausend Beispiele legendärer Innovationen, die aus purem Zufall entstanden. Mehr noch, meist scheiterten die Erfinder grandios mit ihrer ursprünglichen Idee, doch der kreative Umgang mit dem Zufallsergebnis bescherte ihnen die ruhmvollste Entdeckung ihrer Karriere: das Post-it (der Klebstoff sollte ganz andere Zwecke erfüllen), Viagra (gedacht für koronale Herzerkrankungen), Penicillin (der Schimmel spross nur wegen Flemings Nachlässigkeit) oder das Internet (als untaugliches Kommunikationsmittel während des Kalten Krieges).

Das Internet, wie wir es heute kennen, ist übrigens gleichermaßen Förderer und Einschränker von Serendipität. Wer viel surft und sich von Link zu Link hantelt, stößt auf Ideen, die ihm sonst nicht eingefallen wären. Gleichzeitig verhindert die persönliche Filterblase, dass er wirklich neue Ufer erreicht.

Der Bär beim Basketball

Im Arbeitskontext hat Serendipität zwei Feinde: Ziele – schlimm für alle Management-by-Objectives-Führungskräfte – und allzu große Fokussierung. Beides belegt anschaulich das nachstehende Video (Awareness Test).

Vier weiß und vier schwarz gekleidete Basketballspieler werfen einander schnelle Bälle zu. Die Aufgabe lautet, die Pässe der weiß gekleideten Spieler zu zählen. Vor lauter Konzentration bemerkt niemand die Person im schwarzen Bärenkostüm, die lässig durchs Bild tänzelt. Ohne Tunnelblick fiele sie sofort auf.

Das Gleiche gilt für die Jagd nach Innovationen. Je konzentrierter wir sind, desto mehr entgeht uns, desto blinder sind wir. Auch entscheiden wir keineswegs so frei wie wir denken. Ist unsere Aufmerksamkeit erst einmal verhakt (positiv formuliert: im Flow), bekommen wir nichts mehr um uns herum mit und übersehen die Wunder am Wegesrand. Schlimmer: Das ist uns nicht einmal bewusst. Willensanstrengung („Jetzt achte ich auf Nebensächlichkeiten!“) macht es noch ärger. Zwang und Angst töten Serendipität. Ablenkung hilft.

Praktische Anwendung

Der Wiener Digitalstratege Thomas Dori beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema. Wie so oft sind im Unternehmenskontext die Mitarbeiter der Dreh- und Angelpunkt. Dori unterscheidet die passive und die aktive Art, Raum für zufällige Entdeckungen zu schaffen. Passiv über die Firmenkultur:

„Yes, and“- statt „Yes, but“-Einstellung. Dori: „In manchen Firmen ist „Ja, aber“ generell verboten.“

Bewusst divers zusammengesetzte Teams. „Je unterschiedlicher, desto mehr Perspektiven, desto mehr Chancen.“

Interne Kommunikationskanäle wie Slack, in denen eine Ecke ausdrücklich für schräge Ideen reserviert ist: „Diese heißt dann ,Random‘ oder ,Topic‘, und jeder darf Inspirierendes hineinschreiben.“

Aktiv können Mitarbeiter und Stakeholder auf vielerlei Art einbezogen werden:

Workshops. Pixar-Gründer Ed Catmull stand vor der schier unlösbaren Aufgabe, einen Film in verkürzter Drehzeit realisieren zu müssen. Er trommelte alle Mitarbeiter für ein Wochenende zusammen und bat sie um Lösungen zu diesem und allen anderen Themen, die ihnen einfielen. Es wurden 4000. Mehr noch: Die kollektive Euphorie entfachte das alte Feuer, das nach ein paar Umorganisierungen zu erlöschen drohte.

Eine Nummer kleiner. Sekundäres geht im Alltag leicht unter. Dori kennt eine Firma, die solche Themen listet und auf der nächsten Feier anspricht: Wer organisiert gern Partys? Wer mag Pflanzen? Immer melden sich mehr Freiwillige als erwartet. Diese kümmern sich gern um das nächste Sommerfest oder um Not leidende Büropflanzen.

Frag den Kunden. Natürlich fragt man die Kunden regelmäßig, wie sie die Firmenprodukte mögen. Einige wenige fragen auch, wo der Kundenschuh wirklich drückt, und heben so ihr Thema auf eine neue Ebene. Radikale Innovationen entstehen genau so.

Sprich mit der Konkurrenz. Für Mutige: Einer seine Kunden, erzählt Dori, besuchte ganz offiziell ein Event seines schärfsten Mitbewerbers, stellte sich dem Geschäftsführer vor und plauderte mit ihm bei einem Glas Wein. Die beiden fanden heraus, dass sie in Wahrheit unterschiedliche Zielgruppen bedienen. Heute arbeiten sie zusammen.

Serendipity hat übrigens eine Eigenart. Ist ein Problem gelöst oder eine Erfindung gelungen, hält man sie nicht mehr für einen glücklichen Zufall. Sondern für den Beweis des eigenen Talents.

Zur Person

Ursprünglich Software-Engineer, entwickelte sich Thomas Dori nach Aufenthalten in Singapur und New York zum digitalen Strategieberater. Er leitet die Kommunikations-agentur Anwert (https://anwert.io) und die Community Iamgood (https://iamgood.cc) rund um Themen der Personalentwicklung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)

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