Der geduldige Weltvermesser Geyrhalter

Nikolaus Geyrhalter.
Nikolaus Geyrhalter.(c) APA/Herbert Pfarrhofer
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Seine Werke lassen sich nicht auf ihren Inhalt reduzieren: Noch bis 21. April zeigt das Filmarchiv Austria eine umfassende Werkschau des heimischen Ausnahmedokumentaristen Nikolaus Geyrhalter im Metrokino.

Was ist ein Dokumentarfilm? Kommt darauf an, wen man fragt. Für manche eine Art bessere Informationssendung. Für andere ein persönlicher und künstlerischer Leinwandblick auf faszinierende Wirklichkeit(en). Nikolaus Geyrhalter sieht zwischen diesen beiden Perspektiven keinen Widerspruch. Der 47-jährige Wiener dreht schon seit 1994 „Dokus“, die ihrem Publikum „Themen“ näherbringen – sich aber nie auf ihren Inhalt reduzieren lassen. Der Geyrhalter-Film hat sich dabei zu einer Marke entwickelt, die jenen des Seidl- und Haneke-Films in nichts nachsteht. Seine Ästhetik zeichnete sich schon im schönen Donau-Debüt „Angeschwemmt“ ab: geduldige Kameraführung, eine Vorliebe für Zentralperspektiven, der Wechsel zwischen nahezu abstrakten Panoramen und zwanglosen Interviews.

Vielleicht ist es die Beständigkeit dieses Stils, die Geyrhalters Produktivität erklärt. Meist arbeitet er an mehreren Projekten gleichzeitig, nahezu im Jahrestakt erscheint ein neuer Film. Es sind vor allem außergewöhnliche Orte, die ihn anziehen, rund um den Globus: Die epische Weltreise „Elsewhere“ (2001) porträtiert gleich zwölf davon, einen pro Monat. Schauwerte sind Geyrhalters Lockmittel – aber kein Selbstzweck. Stets verweisen sie auf größere Zusammenhänge, oft auf die Spannungen zwischen Zivilisation und Natur. Selbst wenn der Mensch völlig abwesend ist, wie in der atemberaubenden Ruinentour „Homo sapiens“ (2016), spürt man seinen strittigen Willen zur Macht über den Planeten.

Einen Off-Kommentar haben diese eindringlichen Filme nie benötigt. Dass „Unser täglich Brot“ (2005) der Massenproduktion von Lebensmitteln kritisch gegenübersteht, machen seine Fleischfabrik-Tableaus unmissverständlich klar. Wenn Geyrhalter dem Zuschauer etwas erzählen will, lässt er die Leute selbst reden – wie in der bemerkenswerten Langzeitarbeitslosigkeitsstudie „Über die Jahre“.

Seine Produktionsfirma NGF gibt längst auch Nachwuchsfilmern Starthilfe. Im Mai kommt mit „Erde“ die jüngste Weltvermessung des Doku-Doyens in die Kinos. Eine Vorabsichtung ermöglicht die Geyrhalter-Werkschau, die noch bis zum 21. April im Wiener Metrokino läuft, gezeigt werden dort auch weniger bekannte TV-Produktionen wie „CERN“ und „Allentsteig“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)

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