Im Kino: Bunte Stoffe, automatische Waffen

„Birds of Passage“ erzählt aus der Perspektive der Wayuu, kolumbianischer Ureinwohner, wie archaische Sitten eine Gewaltspirale in Gang setzen.
„Birds of Passage“ erzählt aus der Perspektive der Wayuu, kolumbianischer Ureinwohner, wie archaische Sitten eine Gewaltspirale in Gang setzen.(C) Polyfilm
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Das bildgewaltige Gangsterepos „Birds of Passage“ erzählt, wie die Drogenindustrie Kolumbiens geboren wurde. Mit Kartell-Verkultungen à la „Narcos“ hat es aber nichts gemein.

Der Purpurkardinal, der sich im Geäst niedergelassen hat, kündet von dräuendem Unheil. So warnt die Stammesmutter ihren Schwiegersohn. Doch der Kassandraruf stößt auf taube Ohren: Die Zeit der Omen und Menetekel ist längst vorbei. Nur Geld- und Tauschwerte interessieren noch an der Welt und ihren Wundern.

Die Kluft zwischen Tradition und Moderne zieht sich wie ein blutroter Faden durch „Birds of Passage“, ein Gangsterepos der gänzlich anderen Art. Sie klafft zwischen der erhabenen Weite der Wüste und den grobschlächtigen Landrovern, die darin herumkurven. Zwischen den farbenfrohen Gewändern der indigenen Bevölkerung und den vollautomatischen Schusswaffen, mit denen sie sich bekriegt. Zwischen dem epischen, nahezu märchenhaften Tonfall der Erzählung und der prosaischen Gewalt, die ihre Tragik ausmacht.

„Birds of Passage“ spielt in den 1960er- und 1970er-Jahren. In fünf „Gesängen“ schildert der Film die Genese der kolumbianischen Drogenindustrie. Doch mit westlicher Kartell-Verkultung à la „Narcos“ hat er wenig gemein – sein Blick ist unverkennbar autochthon.

Regie führte das Kreativgespann Ciro Guerra und Cristina Gallego. Schon in seinem internationalen Durchbruchswerk „Embrace of the Serpent“ (2015), einer psychedelisch unterfütterten Amazonas-Expedition in blendendem Chiaroscuro, fehlte jede Spur von Exotismus. Auch bei ihrer jüngsten Arbeit legten die Filmemacher Wert darauf, die Menschen, deren Geschichte sie auf die Leinwand bringen wollten, in den Produktionsprozess einzubinden.

Unter den Darstellern finden sich etliche Wayuu – jene südamerikanischen Ureinwohner, deren Perspektive „Birds of Passage“ einnimmt. Einer von ihnen, der junge und ehrgeizige Rapayet (stoisch: José Acosta), möchte Zaida (Natalia Reyes) zur Frau – die Tochter eines konkurrierenden Clans. Um das gepfefferte Brautgeld aufzutreiben, lässt er sich mit seinem weltläufigen Kumpel Moisés (Jhon Narváez) auf lukrativen Marihuana-Handel mit US-Gringos ein. Bald blühen die Geschäfte. Sie bringen Wohlstand und Macht, aber auch Missgunst und Neid. Und ehe man sich's versieht, stürzt der erste Tote in den Sand.

Wie „Der Pate“, nur ohne Pathos

In mancherlei Hinsicht erinnert „Birds of Passage“ an kanonische Mafiaballaden wie „Der Pate“. Auch Guerras und Gallegos Film handelt von der Aushöhlung überkommener Gemeinschaftspfeiler (Ehre, Familie, Brauchtum) durch kapitalistische Gier, zeichnet diesen schleichenden Prozess über mehrere Generationen nach. Doch im Unterschied zu berühmteren Vorbildern verzichtet er weitgehend auf Pathos, bleibt entschieden unsentimental. Wenn hier eine Villa belagert wird wie im legendären Finale von Brian De Palmas „Scarface“, hat der Kugelhagel nichts Heldenhaftes an sich – dafür sorgt allein schon die ruhige, tableauhafte Inszenierung.

Seine Schauwerte bezieht „Birds of Passage“ nicht aus der Action, sondern aus der atemberaubend fotografierten Landschaft der Guajira-Provinz – und aus der Kultur der Wayuu, die in offenen Wüstenweilern leben; gleich zu Beginn beeindruckt der Film mit einem leidenschaftlichen Tanzritual. Doch wohlfeiler Ethno-Kitsch ist ihm fremd. Er verbrämt nicht, dass die in sich geschlossenen Sozialstrukturen und archaischen Sitten der Ureinwohner zu ihrer Misere beitragen; schließlich ist es die Usance der Brautgabe, die die Gewaltspirale des Narrativs überhaupt erst in Gang setzt.

Wobei die Frauen sich genauso daran beteiligen (und dagegen ankämpfen) wie die Männer. Matriarchal ist die Wayuu-Gesellschaft nicht, aber immerhin matrilinear, und das Wort einer erfahrenen Matrone wie Úrsula (toll: Carmiña Martínez) zählt viel. In ihren bildgewaltigen Träumen scheint oft mehr Wahrheit zu stecken als im Geplänkel der Väter und Söhne. Erst als diese ausbleiben, weiß man, dass es kein Zurück mehr gibt. Guerra träumt indes weiter: Sein erster englischsprachiger Film, eine J.-M.-Coetzee-Verfilmung mit Robert Pattinson und Johnny Depp, ist bereits abgedreht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)

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