"Vincent will meer": Freakshow mit Tiefgang

Florian David Fitz in ''Vincent will meer''
Florian David Fitz in ''Vincent will meer''(c) Constantin Film
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In "Doctor's Diary" ließ Florian David Fitz sich anschmachten, im Kinofilm "Vincent will meer" ist er Psychiatrie-Patient. Der Schauspieler übers Erwachsenwerden und warum es ihn nicht nach Hollywood zieht.

Florian David Fitz schickt in seinem ersten Drehbuch drei Psychiatrie-Patienten auf die Reise. Was als Freakshow beginnt, entpuppt sich als sensibles Drama, in dessen Zentrum drei junge Menschen stehen, die alle aus unterschiedlichen Gründen vor ihrem Leben flüchten - nur um es unterwegs zu finden. Mit seinen leisen Zwischentönen und gut gesetzten Pointen hebt sich der Film angenehm von den üblichen deutschen "Zotenknallern" ab. Auch wenn der Plot am ersten Blick nicht sonderlich originell und die Inszenierung von Ralf Hüttner konventionell daherkommt - so ist es den hervorragenden Dialogen und der schauspielerischen Leistungen des Ensembles zu verdanken das "Vincent will meer" mehr ist als erwartet.

Florian David Fitz, Drehbuchautor und Hauptdarsteller von "Vincent will meer", sprach bei der Präsentation des Films in Wien mit "ray"-Redakteurin Julia Kopetzky übers Erwachsenwerden, den Freak in uns und warum Hollywood seines nicht ist.

Julia Kopetzky: War die Anreise nach Wien ein Roadmovie?

Florian David Fitz: Ja ... und zwar ein längeres als im Film. Von Frankfurt nach Berlin, von Berlin nach Köln und von Köln dann mit dem Auto in der Nacht nach Wien - im Auto gepennt.

Ein Zwangsneurotiker, eine Magersüchtige und ein Tourettekranker fahren ans Meer ... das klingt ja eigentlich wie der Anfang eines schlechten Witzes - hatten Sie keine Angst, dass daraus ein schlechter Film werden könnte?

Fitz: Nein hatte ich nicht, weil ich die Figuren ernst nehme. Natürlich wollte ich auch, dass es lustig wird und es ist Absicht, dass die Krankheiten so aufeinander prallen. Auf der anderen Seite war es ja auch ganz wichtig Krankheitsbilder zu finden in denen sich Vincent spiegelt. In dieser Freiheitssucht und dieser Kraft, die Marie hat, und der Ordnungswahn und die Kontrollsucht, die Alex hat - um sich da wieder zu finden. Aber nicht nur die drei sind krank. Die anderen beiden (Anm.: Vincents Vater und die Therapeutin Dr. Rose) sind ja auch ein bisschen daneben, die haben auch ihre Probleme.

Die Figuren bewegen sich alle vom Klischee weg. Am stärksten Alexander: Er ist zu beginn die Karikatur eines Zwangsneurotikers und wird im Laufe des Films zum "echten Menschen", einem der interessantesten Charaktere.

Fitz: Das war beim ganzen Film ein wenig so - die ganze Konstruktion fängt ja an wie viele Filme, die man schon kennt: Es wollen welche zum Meer. Ich wollte trotzdem, dass es ums Meer geht, das ist so eine Idee die Vincent im Kopf hat - wenn er das schafft, ist er ein vollwertiger Mensch.

Für Vincent ist es auch eine verspätete Coming of Age-Geschichte.

Fitz: Vincent hat sich ja jahrelang hinter diesem Tourettesyndrom auch irgendwie verschanzt. Dieser Hass seinem Vater gegenüber. Alle nehme immer die Position von Vincent ein und sagen der Vater ist so ein Arschloch. Aber Vincent haut ja dem Vater auch alles ums Ohr - für Vincent ist der Vater an allem Schuld. Vincent muss lernen Verantwortung für sein eigenes Leben und Tun zu entwickeln und sagen, es geht nun mal nicht anders, ich hab halt diese Krankheit, ich kann jetzt nicht ewig heulen - ich muss halt damit leben.

Vincent ist an sich ein sehr sensibler, stiller Charakter - aber es gibt Szenen, in denen er ziemlich gewalttätig reagiert - wie passt das zusammen?

Fitz: Ich fand das total wichtig, das war für mich auch einer der wichtigsten Punkte in dem Buch, dass Vincent so viel angestaute Aggressionen in sich trägt. Der ist ja immer wie so ein Dampfdrucktopf - die ganze Geschichte mit seiner Mutter, die ganze Geschichte mit Marie und mit seinem Vater und er hat nie die Chance, das rauszulassen. Da platzt ihm die Hutschnur und das fand ich total wichtig das zu zeigen, dass der so unter Druck steht. Und es richtet sich nicht gegen Leute die sich nicht wehren können - sondern es kommt dort raus wo es raus muss. Er schlägt ja auch Alexander wo es eigentlich Marie gilt - wenn man ehrlich ist. Weil er auch realisiert, dass Alex recht hat mit dem was er sagt.

Marie kommt als einzige nicht weiter auf dieser Reise.

Fitz: Auch ein Punkt, der mir sehr wichtig war. Dass man nicht ein komplettes Märchen erzählt: Alle sind geheilt. Es ist gar niemand geheilt. Die einen haben gelernt, damit umzugehen, die anderen entscheiden halt, ihren Weg weiterzugehen. Man kann nur hoffen. Wenn wir jetzt erzählt hätten, dass innerhalb von drei Tagen die Frau das begreift, dann hätten wir Magersucht nicht wirklich ernst genommen.

Wie schafft man es das zu spielen - sind Ihnen Ticks geblieben?

Fitz: Ich glaube, dass wir alle diese Impulse in uns haben. Das ist jetzt meine Erfahrung. Am Anfang hab ich noch versucht es mir von anderen abzuschauen. Einen richtigen Fortschritt hab ich erst gemacht, als ich bei mir selber drinnen gesucht habe. Ich glaube wir haben solche Impulse, wir haben nur ein Filtersystem, das funktioniert, dass wir nicht allen Impulsen nachgehen müssen. Wenn du denen aber nachgehst, dann merkst du schon, dass da mehr ist.

Der Film ist ja ein Roadmovie. Welche Rolle spielt die Landschaft im Film. Da ist einmal das Meer als fiktiver Sehnsuchtsort, das aber in der Realität ganz anders ist ...

Fitz: Das ist genau wie der ganze Film - es ist immer die Idee, wo hinzuwollen. Und das, was es dann ist, ist ganz anders als man es sich erwartet hätte. Eigentlich auf dem Weg liegt die Schönheit der Entwicklung.

Aber viel beeindruckender sind die Berg- und Gipfelszene. Kommt da der Bayer in Ihnen durch?

Fitz: Es war ganz wichtig, dass es diesen Moment gibt im Film. Du hast am Anfang so einen kleinen Eindruck, wie der gelebt hat - in diesem Zimmer, dann in der Klinik, dann sitzen sie im Auto. Und irgendwann hast du das Gefühl, du möchtest raus. Und dann kann er tatsächlich mal so weit gucken - es ist so eine Vorstellung von Freiheit.

Sie haben auch das Drehbuch verfasst. War schon beim Schreiben klar, dass Sie Vincent spielen werden?

Fitz: Ich wäre blöd, wenn ich das nicht hätte machen wollen. Aber beim Schreiben verflüchtigt sich diese Idee dann rasch. Du sitzt nicht am Computer und denkst dir wie werd ich diesen Satz sagen oder wie werde ich in dieser Einstellung ausschauen. Aber die Schauspielerfahrung hilft natürlich beim Schreiben. Ich habe versucht, Dialoge zu schreiben, die ich auch als Schauspieler gut finde.

Viele Autoren laufen Gefahr, ihre Drehbücher mit Dialog zu überfrachten.

Fitz: Ja, aber wenn du weniger deutlich alles hineinschreibst, kriegen es die Hälfte der Leute beim Lesen nichts mit und sagen, es ist zu flach - und man möchte sagen: aber dann lies halt gscheit!

Österreich ist ja international sehr erfolgreich bei Festivals, aber das findet ein bisschen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In Deutschland setzt man mehr auf Mainstream.

Fitz: Bei uns laufen die spannenden Kinofilme sehr sehr klein. Kinofilm muss ja irgendwie auch ein Publikum anziehen. Das ist ja die große Herausforderung eine Geschichte zu schaffen, die ein bisschen mainstreamig ist, dass die Leute reingehen und man ihnen trotzdem was mitgibt, dass sie beschäftigt.

Christoph Waltz hat gerade den Oscar und zig weitere internationale Preise für seine Rolle in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" gewonnen. Sie haben ja in Boston Schauspiel studiert. Können Sie sich eine Karriere in Hollywood vorstellen?

Fitz: Das ist eine gern gestellte Frage. Aber mich ziehst dort nicht hin. Vielleicht auch, weil ich längere Zeit in Amerika gelebt habe. Ich bin jetzt hier eigentlich relativ glücklich. Ich hab auch keinen Bock, mir noch wo eine neue Karriere aufzubauen. Ich finde unser ewiges Geschiele nach Amerika ermüdend. Da muss erst ein Amerikaner nach Deutschland kommen und einen Film machen, in dem die Deutschen die besten Rollen haben - auch wenn's Nazis sind natürlich - dass die Leute sagen, wir haben ja eigentlich auch ganz tolle Schauspieler - als ob Sie Christoph Waltz vorher nicht wahrgenommen hätten. Er hat nun nicht soviel anders gemacht als er sonst auch gemacht hat - es war nur wirklich die Rolle seines Lebens. So eine Rolle kriegt einer von 100 Schauspielern einmal in 1000 Jahren.

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