Autonomes Fahren – Freiheit oder weitere Entmündigung?

Das autonome Fahren wird uns morgen genauso überrollen und in seinen Dienst zwingen, wie es heute das Smartphone tut. Haben wir eine Wahl? Wahrscheinlich nicht.

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Seit es Menschen gibt, verändern technologische Innovationen Gesellschaften. So kamen mit dem Sesshaftwerden vor etwa 10.000 Jahren im Zuge der „neolithische Revolution“ Ungleichheit und Patriarchat in die Welt. Und gerade eben versprach die digitale Revolution samt Smartphone eine radikale Demokratisierung und das politische Empowerment aller. Dazu kam es teilweise auch, allerdings beruht das Geschäftsmodell der uns vernetzenden Giganten wie Google oder Facebook auf dem Absaugen buchstäblich aller Daten über uns. Und wie das Beispiel China zeigt, kann die neue Technologie zur lückenlosen Überwachung des Staatsvolks pervertiert werden. Auch in den westlichen Demokratien steigen Misstrauen und scheibchenweise die Überwachung der eigenen Bürger – natürlich nur zu ihrer Sicherheit!

Schöne neue Welt! Vor ein paar Wochen endete meine Kolumne zu den Wölfen mit der Bemerkung, intelligente Technologien würden demnächst den Wilderern das Leben schwerer machen. Ein winziges Beispiel dafür, wie stark etwa künstliche Intelligenz in individuelle Entscheidungen eingreift, und sei es bloß, illegal auf einen Wolf zu schießen oder eben nicht. Kann dem Artenschutz helfen, wird aber unsere Gesellschaft kaum radikal verändern.

Dies ist vom autonomen Fahren schon eher zu erwarten. Daran arbeitet die Autoindustrie auf Teufel komm raus, und die Regierungen schaffen schon einmal brav die Voraussetzungen. Argumentiert wird mit den im Vergleich zu uns doofen Menschen unfehlbaren Computern und mit Komfortgewinn: schlafen, lesen oder chatten, anstatt sich auf das Fahren konzentrieren zu müssen. Klingt sehr schön, ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Klar, dass davon auch für die Gesellschaft über Arbeitsplätze und Entwicklungsmöglichkeiten einiges abfallen wird. Zuerst aber profitieren natürlich die Hersteller und sicherlich auch das Militär.

Global betrachtet wäre allerdings zur Vermeidung des ökologischen Kollapses der rasche Ausstieg aus der Mobilität mittels eigenen fahrbaren Untersatzes dringend erforderlich. Genau das wird aber durch das autonome Fahren behindert. Jedem seine eigene Schüssel, die Lasten transportieren zunehmend endlose autonom fahrende Lkw. Bahn und öffentlicher Verkehr waren gestern, heute hat die Öffentlichkeit für die nötige Infrastruktur für das autonome Fahren aufzukommen. Selbst wenn es bald gelingen sollte, auf durch Sonnenenergie gespeiste Elektro- bzw. Wasserstoffantriebe umzusteigen, wird damit die Ökologisierung des Verkehrs nicht gefördert. Autonomes Fahren kann zwar auch im Bereich der Öffis eingesetzt werden, deren Attraktivität wird aber in der Konkurrenz mit dem autonomen Privatfahrzeug nicht steigen.

Haben wir eine Wahl? Wahrscheinlich nicht. Das autonome Fahren wird uns morgen genauso überrollen und in seinen Dienst zwingen, wie es heute das Smartphone tut. Sehr theoretisch kann man kann sich natürlich raushalten, was mir als 65-Jährigem leichter fällt als Jugendlichen oder Leuten in der Rushhour ihres Lebens. Selbstverständlich bin ich extrem neugierig, wie das autonome Fahren individuelles Denken und Handeln und letztlich die Gesellschaft verändern wird. Freiheit und Komfort durch Technologie oder weitere Entmündigung und Überwachung?

Oder beides? In wenigen Jahren werden wir es wissen.

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenschaft & Umwelt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2019)

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