Theresa May leitet Countdown zur Brexit-Rettung ein

Theresa May sprach in Berlin mit Angela Merkel.
Theresa May sprach in Berlin mit Angela Merkel.REUTERS
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Mit Blitzbesuchen in Paris und Berlin will die Premierministerin ein No-Deal-Szenario verhindern. Das Parlament in London verliert das Vertrauen: Es sicherte sich in der Nacht auf Dienstag per Gesetz ein Mitspracherecht.

London. Die britische Premierministerin, Theresa May, hat Bemühungen um Abwendung eines drohenden No-Deal-Brexit intensiviert. „Wir lassen nichts unversucht“, versicherte Außenminister Jeremy Hunt am Montag vor Beginn von Beratungen der EU-Außenminister in Luxemburg. Bereits am Mittwoch könnte für Großbritannien auf einem Sondergipfel die Stunde schlagen: Stimmen die EU-27 einem Ersuchen der Briten um Verlängerung nicht zu, scheidet das Land am Freitag um 23 Uhr britischer Sommerzeit aus der EU aus.

Um dies zu verhindern, wird May am heutigen Dienstag zu Blitzbesuchen nach Berlin und Paris reisen. Während die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, zuletzt erkennen ließ, Berlin könne „mit einer kurzen Verlängerung“ leben, hat sich Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, als Scharfmacher positioniert. Er will die Union „nicht länger in Geiselhaft des Brexit“ sehen, warnte er zuletzt. Die „Financial Times“ schrieb: „Kommt nun Macrons De-Gaulle-Moment?“

Der frühere französische Staatspräsident hat in den 1960er-Jahren zweimal per Veto einen Beitritt Großbritanniens zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verhindert. Was ihm jahrzehntelang Vorwürfe eingetragen hat, wird heute als weise Voraussicht gerühmt: „Die Briten sind zu insular“, sagte er 1963. „Sie haben sehr eigenartige Traditionen und Gewohnheiten.“

Neben der außenpolitischen Initiative wurden die Verhandlungen zwischen der konservativen Regierung an die Labour Party fortgesetzt. Oppositionschef Jeremy Corbyn, fordert im Gegenzug für eine Zustimmung zu dem von Theresa May ausgehandelten Brexit-Deal einen Verbleib Großbritanniens in der EU-Zollunion.

„Kapitulation“ und „Verrat“

Während Corbyn sich pessimistisch zeigte, dass eine Einigung mit May gelingen könnte, gehen die Tory-Hardliner weiter gegen die Annäherung auf die Barrikaden. „Die fortgesetzte Mitgliedschaft in der Zollunion würde das Ergebnis der Volksabstimmung zu einem völligen Unsinn machen“, schimpfte Ex-Außenminister Boris Johnson. Die Konservativen würden eine derartige „Kapitulation“ von May gegenüber Labour-Chef Jeremy Corbyn „niemals hinnehmen“. Der gleichgesinnte Abgeordnete Mark Francois brachte einen neuen Misstrauensantrag gegen May ein, den er mit ihrem angeblichen „Verrat“ begründete.

Allerdings hatten sich gerade die schärfsten Gegner Mays längst den Weg zur Absetzung verbaut. Im Dezember scheiterte ein von ihnen vom Zaun gebrochener Absetzungsversuch, nun ist May nach den Statuten der konservativen Partei ein Jahr sicher. Allerdings hat sie bereits angekündigt, nach Abschluss eines Brexit-Abkommens den Hut zu nehmen. Das hat sich nun als weitere Schwierigkeit herausgestellt: Die Opposition will Garantien, die auch ihren Nachfolger binden sollen.

Fristverlängerung per Gesetz

Rechtlich sehr wohl bindende Wirkung wird hingegen ein Gesetz haben, das Montagnacht durch das Oberhaus ging und – nach Zustimmung der Königin (einer Formsache) - sofort in Kraft tritt: Darin verlangt das Parlament eine Verlängerung des Brexit-Verfahrens und gibt den Abgeordneten das Recht, selbst eine Frist festzusetzen. May will nur eine möglichst kurze Verlängerung und hat um eine Erstreckung bis 30. Juni angesucht. Viele gemäßigte Kräfte halten das für zu kurz, während Radikale einen No Deal einer weiteren Verzögerung vorziehen.

Dass die Parteien in letzter Sekunde vor dem Gipfel einen neuen Antrag auf einen Brexit-Deal stellen würden, ist zwar am Dienstag theoretisch noch möglich, gilt aber als praktisch ausgeschlossen. Zu groß waren nicht nur die Differenzen zwischen Regierung und Opposition, zu tief waren auch die internen Gräben sowohl bei Konservativen als auch Labour.

Die Zollunion, über die in London momentan debattiert wird, ist nur eine von vielen Optionen einer zukünftigen Zusammenarbeit. Die EU hat von vornherein klargestellt, dass über die Zukunft erst dann ernsthaft verhandelt werden kann, wenn Großbritannien ein Ex-Mitglied ist und seine im Austrittsvertrag festgehaltenen Verbindlichkeiten beglichen hat. Die Bandbreite des Angebots reicht von einer engen Anbindung an den EU-Binnenmarkt bis zu einem umfassenden Handelsabkommen nach dem Vorbild des Pakts EU/Kanada – vorausgesetzt, die Auffanglösung für die irisch-nordirische Grenze hält.

Während die EU-27 das mit May fixierte Austrittsabkommen nicht mehr aufschnüren wollen, sind sie durchaus dazu bereit, die beiliegende Absichtserklärung zu den künftigen Beziehungen umzuschreiben, um den Briten entgegenzukommen. Allerdings ist dieser politische Beipackzettel nicht verbindlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2019)

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