Haydn und Bach: Musikalische Zurüstungen für die Karwoche

J. S. Bach: „Markuspassion (BWV 247)“
J. S. Bach: „Markuspassion (BWV 247)“(c) Alia Vox
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Riccardo Minasi legt mit seinem Ensemble Resonanz die Urfassung der „Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ vor, Jordi Savall eine Rekonstruktion der verlorenen Markuspassion.

Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht eine Neueinspielung von Joseph Haydns „Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ rechtzeitig zur Karwoche in den Handel kommt. 2019 ist insofern ein wenig anders, als es sich diesmal um eine Aufnahme der ursprünglichen Orchesterversion des Werks handelt, so wie sie bei den ersten Aufführungen 1787 in Wien und Cádiz erklungen ist. Aus Besetzungsgründen ist sie viel weniger bekannt geworden als die spätere, über Jahrhunderte viel gespielte Version für Streichquartett.

Die Domherren der spanischen Stadt Cádiz hatten bei Haydn ja eine Andachtsmusik für ihre Karfreitagsliturgie bestellt, wobei je ein Instrumentalsatz den meditativen Betrachtungen des Predigers zu einem der „sieben letzten Worte“ Christi folgen sollte. Viel bewundert wurde seither Haydns Kunst, sieben langsame Sätze aufeinanderfolgen zu lassen, ohne Langeweile aufkommen zu lassen. Auf der Höhe seiner symphonischen Kunst komponierte Haydn tatsächlich sieben Adagiosätze in Sonatenform; raffiniert geschürzte dramaturgische Knoten und klangliche Delikatesse halten die Aufmerksamkeit aufrecht. Für das abschließende, einzige Allegro stoßen noch Pauken und Trompeten hinzu, um das von Matthäus so eindrucksvoll geschilderte Erdbeben nach der Kreuzigung adäquat in Klang umzusetzen.

Riccardo Minasis Prinzip, auf modernen Instrumenten die interpretatorische Tradition mit Erkenntnissen der Originalklangpioniere zusammenzuführen, bringt ein erfrischend differenziertes, spannendes Hörerlebnis. (Erschienen bei Harmonia Mundi.)

Ein solches garantieren auch Jordi Savall und seine Capella Reial de Catalunya mit ihrer Rekonstruktion der verlorenen „Markuspassion“. Bachs drittes, spätestes großes Passionswerk (dessen Textgestalt wir genau kennen) ist nebst der kontemplativ-machtvollen „Matthäus-“ und der dramatischen „Johannespassion“ so etwas wie die „Choralpassion“ und entstand ziemlich sicher wie das „Weihnachtsoratorium“ und die „Hohe Messe“ im „Parodieverfahren“, indem Bach Sätze aus älteren Kantaten neu textierte.

Eine der Vorlagen konnte mit großer Wahrscheinlichkeit namhaft gemacht werden: die „Trauerode“ BWV 198. Ausgehend von Arrangements von sechs Sätzen dieses Werks sind zuletzt etliche Versuche gemacht worden, die „Markuspassion“ zu realisieren. Savall folgt weitgehend Alexander Grychtolik, der angeregt hat, die umfangreichsten Arien und Chöre des Werks mit Musik aus den beiden bekannten Passionen zu unterlegen und für die übrigen Texte Sätze aus anderen Bach-Kantaten zu „parodieren“.

Das Ergebnis ist, wenn auch etliches vertraut tönt, durch die neuen Querverbindungen und die spezielle Dramaturgie des Librettos fesselnd und – vor allem – von Savall und seinem Ensemble exzellent musiziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2019)

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