Benin: Vom „historischen Unfall“ des Sklavenhandels

(c) ANNA MAYUMI KERBER
  • Drucken

Rund vier Millionen Afrikaner wurden von Benin aus in die Neue Welt verschifft – und mit ihnen der Voodoo-Kult.

Der Sandstrand fällt sanft ins Meer ab, am „Point of no return“. Ein Torbogen erinnert an den Hafen, den es hier einst gab. Die Fresken darauf zeigen aneinandergekettete Menschen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gingen dort Millionen von Sklaven aus dem heutigen Nigeria, Benin und Togo an Bord europäischer Schiffe. Viele wählten den Freitod, um der monatelangen Reise und dem zukünftigen Sklavendasein zu entkommen.

„Ohne Käufer keine Händler – das gilt auch umgekehrt“, meint Alladassi Raphaël. Der unter dem Namen Yakin agierende Künstler erklärt das Prinzip des freien Marktes auch für den Handel mit Unfreien für gültig. Yakin zeigt auf ein Denkmal, das an die geteilte Schuld erinnert. „Die afrikanischen Könige von Abomey trifft ebenso viel Schuld wie die Europäer.“

Die Dahomey-Könige, nach denen das heutige Benin bis zur Erlangung seiner Unabhängigkeit vor 35 Jahren benannt war, haben ohne Zweifel vom Sklavenhandel profitiert. Schon bevor die Europäer den Handel initiierten, hielten sich die Dahomey-Könige Kriegsgefangene als Sklaven. Mit der zunehmenden Nachfrage jedoch stieg das Ausmaß an Brutalität, um die „Ware Mensch“ bereitzustellen. Nicht nur Kriegsgefangene wurden an die Europäer verkauft, die Jagd auf Menschen war eröffnet.

Die im Tauschhandel akquirierten Waffen nutzten die Könige erfolgreich, um ihr Reich auszuweiten. 15 Männer gegen eine Kanone – oder 25 Frauen. Der Preis Letzterer stieg um das Doppelte, wenn sie schwanger waren. „Vergewaltigungen weiblicher Gefangener waren deshalb keine Seltenheit“, so Yakin.

Folgt man der Straße der Sklaven vom Meer ins Dorf, gelangt man an den „Place Chacha“, an dem einst „Menschen wie Kleider gehandelt wurden“, wie Yakin erzählt. Der Platz trägt den Kosenamen des Sklavenhändlers Felix de Souza, den ihm die einheimischen Machthaber verliehen haben. De Souzas Nachfahren haben diesen Platz niemals verlassen, sie leben noch heute in der Villa von damals.

Es gibt hier auffallend wenig Ressentiments gegenüber Europäern. Denn nicht die Europäer, sondern die Dahomey-Könige waren für die Sklaven verantwortlich – bis sie den „Point of no return“ überschritten und an Bord der Schiffe gingen. Die Könige ließen sie in Ketten legen, zum Meer treiben und dort zusammengepfercht auf die Reise warten. Für zahlreiche Bewohner Ouidahs ist der Sklavenhandel daher vornehmlich eine innere Angelegenheit: „Wir wurden hauptsächlich von unseren schwarzen Brüdern verraten und missbraucht“, so Yakin.

Nur keine Schuldgefühle

Die eindrucksvollen Gemälde des Künstlers widmen sich fast ausnahmslos der inoffiziellen Staatsreligion Benins – dem Voodoo. Der Voodoo-Kult hat seine Ursprünge in diesem Teil Afrikas, gelangte über den Sklavenhandel aber in die Neue Welt. Laut jüngstem Zensus bekennen sich mehr als 42 Prozent der Bevölkerung zum Christentum, ein Viertel zum Islam. „Der Präsident (Yayi Boni, Anm.) ist Christ und erkennt den Voodoo-Kult nicht offiziell an“, erklärt Yakin diese Zahlen. Das tue der Popularität des Kults jedoch keinen Abbruch. Unabhängig vom Glaubensbekenntnis „praktiziert hier jeder Voodoo“, so Yakin.

Ouidahs prominentester Einwohner ist – wenig überraschend – der höchste Voodoo-Priester des Landes, Daagbo Hounon Houna II. Er hält nicht viel davon, sich oder andere mit Schuldgefühlen zu geißeln. „Viele Völker waren am Sklavenhandel beteiligt. Sich gegenseitig Vorwürfe zu machen hat keinen Sinn.“ Hounon Houna II. geht sogar weiter: „Es war ein geschichtlicher Unfall.“

An diesem „Unfall“ war auch König Ghézo beteiligt. Er gilt als einer der grausamsten Machthaber der Dahomey-Dynastie. Sein Palast in Abomey ist, wie der Strand von Ouidah 150 Kilometer weiter südlich, Weltkulturerbe. Er ließ Tausende von Sklaven auf dem Marsch zur Küste oder als Menschenopfer für seine Voodoo-Götter ermorden. Von ihm ist überliefert, dass er alles getan habe, was die Briten von ihm verlangten – außer den Sklavenhandel einzustellen.

Als 1850 in Brasilien mit einem neuen Anti-Sklaverei-Gesetz der endgültige Niedergang des transatlantischen Sklavenhandels eingeläutet wurde, befand Ghézo sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Sein Reich zählte 200.000 Einwohner, von denen nur 12.000 ein Leben in Freiheit führten.

In Abomey wird Ghézo heute noch verteidigt, wenn auch zaghaft: „Dass er mit Sklaven handelte, lehnen wir natürlich ab“, meint ein Guide, der durch die Paläste führt. „Aber richtig verübeln kann man es ihm nicht. Das waren andere Zeiten.“ Dasselbe gelte für die Europäer. „Menschenrechte kamen erst viel später.“ Mit ihnen schwand die Macht der Dahomey-Dynastie.

15 Millionen Versklavte

Wie viele Sklaven die Dahomey-Könige an die Europäer verkauft haben, ist unklar. Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert erreichte rund eine Million von Benin aus die andere Seite des Atlantiks. Über vier Jahrhunderte sollen es rund 15 Mio. gewesen sein.

Aus Sicht des Voodoo-Priesters Hounon Houna II. hatte der „geschichtliche Unfall“ auch positive Folgen. Durch den Sklavenhandel gelangte schließlich der Voodoo-Kult nach Haiti, Brasilien und in die Karibik, wo er sich heute noch großer Beliebtheit erfreut. Diesem Aspekt widmet auch das historische Museum in Ouidah ein ganzes Geschoß der dreistöckigen Ausstellung. „Glück im historischen Unglück“, so könnte man es mit den Worten von Hounon Houna II. zusammenfassen.

DAS PROJEKT

Das Autorenduo Anna Mayumi Kerber und Niels Posthumus durchquert auf dem Weg zur Fußball-WM in Südafrika im Juni Afrika von Marokko bis zum Kap derGuten Hoffnung; dort wollen die Vorarlbergerin und der Holländer biszur WM sein. Ihre Berichte unter dem Motto „The Road to 2010“ erscheinen als Serie in der „Presse“.

www.theroadto2010.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Fußball

Togo: Das Ende eines afrikanischen Fußballmärchens

Abgestürzt, beschossen, verbannt: Wie eine "goldene Fußballgeneration" von Unglücksfällen und Launen der Politik in den Abgrund gestoßen wurde. Dabei hätte es anders kommen können.
Weltjournal

Burkina Faso: Schreiben in einem Land ohne Leser

Nirgendwo sonst ist der Anteil an Analphabeten größer. Nur ein Viertel der rund 14 Millionen Burkiner ist des Lesens mächtig. Das macht das Zeitungsgeschäft besonders hart.
Weltjournal

Mali: „Mit 20 Kindern hast du gute Arbeit geleistet“

Das westafrikanische Land verzeichnet ein enormes Bevölkerungswachstum und steuert zielsicher auf massive Probleme zu. In den vergangenen 60 Jahren hat sich die Bevölkerung Malis vervierfacht.
Weltjournal

Mauretanien: Tourismus in Geiselhaft der al-Qaida

Das Terrornetzwerk scheint in dem politisch instabilen Land Fuß gefasst zu haben. Das trifft den Fremdenverkehr: Entführungen mehren sich, Besucherzahlen sinken.
Weltjournal

Gambia: Nur ein kleines Land, doch ein guter Fang

Wie sich Japan durch Kühlschränke Freunde in der Internationalen Walfangkommission kauft. Fst alle Küstenländer Westafrikas, aber auch Binnenländer wie Mali, sind Empfänger japanischer Finanzhilfe.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.