Türkei: Journalisten in drei Jahren zu insgesamt 600 Jahren Haft verurteilt

APA/AFP/OZAN KOSE
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In der Türkei nehmen willkürliche Inhaftierungen zu, warnt das International Press Institute. Seit 2016 befinden sich 136 Journalisten in türkischen Gefängnissen.

Das International Press Institute (IPI) beobachtet in der Türkei einen Anstieg von willkürlichen Inhaftierungen von Journalisten seit dem Putschversuch 2016 und eine Verarmung der Presselandschaft. 136 Journalisten befinden sich derzeit in türkischen Gefängnissen, berichtete IPI-Vizedirektor Scott Griffen am Mittwoch im Presseclub Concordia in Wien.

Davon sind den Zahlen des IPI zufolge 106 nach dem Putschversuch festgenommen worden. Von diesen wiederum befinden sich 58 in Untersuchungshaft, 48 wurden bereits verurteilt - zu insgesamt fast 600 Jahren Haft, wie aus den Presseunterlagen der Organisation hervorgeht. Insgesamt seien nach dem Putschversuch mindestens 230 Journalisten und Media-Executives festgenommen und strafrechtlich verfolgt worden.

Zu den Betroffenen zählen laut Griffen vor allem säkulare und kurdische Journalisten sowie Reporter, die dem Gülen-Umfeld zugerechnet werden. Präsident Recep Tayyip Erdogan wirft der Bewegung seines einstigen Verbündeten Fethullah Gülen vor, systematisch den Staatsdienst unterwandert zu haben und hinter dem versuchten Militärputsch von Juli 2016 zu stecken.

Behörden verbieten Zugang zu Akten

Das internationale Netzwerk IPI hat sich der Wahrung der Pressefreiheit verschrieben und beobachtet die Einhaltung von innerstaatlichen und internationalen Rechtsstandards. Dazu zählen insbesondere jene, die in der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) festgelegt sind.

"Es gibt kaum Möglichkeiten, die Grundrechte durchzusetzen", berichtete Griffen über die Lage in der Türkei. 2018 untersuchte die Organisation im Rahmen der sechsmonatigen ersten Phase eines Prozessbeobachtungsprojekts insgesamt 71 Verhandlungen. 72 Prozent der Anklagen bestanden demnach aus angeblichen Terrorismusdelikten. In 77 Prozent der Fälle wurden laut IPI ausschließlich journalistische Publikationen als Beweise herangezogen.

Eine von türkischen Behörden häufig angewandte Methode sei die Ankündigung einer sogenannten Geheimhaltungsverordnung. Diese mache es Verteidigern und Angeklagten unmöglich, Zugang zu den Akten zu erhalten, informierte das IPI bei einem Pressegespräch anlässlich des am Donnerstag beginnenden Prozesses gegen den österreichischen Studenten und freien Journalisten Max Zirngast in Ankara.

Institut stellt Verarmung der Pressefreiheit fest

Nach Angaben des Instituts hat die Türkei ein Muster der Inhaftierung und Deportation ausländischer Journalisten eingeführt, die kritisch innerhalb des Landes berichten. Im Fall von Zirngast fordert das IPI die Türkei auf, die Anklage fallen zu lassen, da schlüssige Beweise fehlten.

Die Organisation stellt auch eine Verarmung der Presselandschaft fest: Seit 2016 sind dem IPI zufolge 70 Zeitungen geschlossen worden und 53 geschlossen geblieben. Damit nicht genug: weiters hätten sechs Presseagenturen, 25 Radiosender, 20 TV-Sender und 20 Zeitschriften schließen müssen, hieß es am Mittwoch. Die Sperrung der Medienhäuser sei durch Notverordnungen erfolgt.

90 Prozent der Medien stünden unter staatlichem Einfluss, erklärte Griffen, durch die Besitzverhältnisse - viele Eigentümer seien Freunde des Präsidenten oder der Regierungspartei AKP - und staatliche Werbeeinschaltungen. "Kritisch berichtende Medien bekommen sehr wenig", sagte Griffen und verwies darauf, dass die finanzielle Situation dieser durch die prekäre wirtschaftliche Lage in der Türkei verschärft werde.

(APA)

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