Premier Netanjahu hat in der Knesset eine Mehrheit hinter sich. Doch Ex-Verteidigungsminister Lieberman will sich die Zustimmung zu einem Immunitätsgesetz teuer abkaufen lassen.
Jerusalem. An Benjamin Netanjahu führt bei der Regierungsbildung in Jerusalem kein Weg vorbei. In der Wahlnacht jubelte Israels Premier über einen „kolossalen“ Sieg. Das war ein wenig subjektiv überhöht, aber es entsprach doch den Tatsachen des Wahlergebnisses. Die Knesset-Wahl brachte zwar ein Patt zwischen den beiden stärksten Parteien, Netanjahus Likud-Partei und dem Bündnis Blau-Weiß unter Benny Gantz, mit je 35 Sitzen im 120-köpfigen Parlament. Doch auf die Rechtsallianz des Premiers entfiel eine klare Mehrheit von 65 Mandaten gegenüber den 55 Sitzen des linksliberalen Lagers inklusive der Parteien der israelischen Araber. Gantz lehnt Letztere aber als Koalitionspartner ab.
Heute soll das vorläufige Endergebnis nach Auszählung von rund 200.000 Stimmen vor allem von Soldaten vorliegen, bis zum 17. April das endgültige. Spätestens dann wird Präsident Reuven Rivlin wohl Netanjahu mit der Regierungsbildung betrauen. Rivlin bedankte sich zunächst bei den Wahlbehörden für den professionellen Ablauf: „So funktioniert Demokratie.“
Abfuhr für Gantz
In der Vergangenheit hat der Staatschef stets den Vorsitzenden der größten Fraktion mit den Koalitionsgesprächen beauftragt. Ausnahme waren die Wahlen vor zehn Jahren, als Netanjahu als Chef der zweitstärksten Fraktion zum Zug kam, weil sich für Wahlsiegerin Tzipi Livni keine Perspektive für eine Koalition auftat. Diesmal sind die Weichen indessen für den Regierungschef gestellt. Die ultraorthodoxen Parteien haben sich bereits für eine Fortsetzung des Rechtsbündnisses unter Führung Netanjahus ausgesprochen.
Noch in der Nacht zum Mittwoch nahm Gantz Kontakt zu der orthodoxen Partei Schass auf, um Möglichkeiten für eine Allianz zu sondieren. Er bekam eine glatte Absage. Mit Blau-Weiß, die ein strikt weltliches Programm verfolgt, darunter Wehrdienst für alle, öffentlicher Verkehr am Sabbat und Homosexuellenrechte, findet sich kein gemeinsamer Nenner. Benny Gantz steht vor einer unlösbaren Aufgabe und wird sich mit der Rolle als Oppositionsführer zurechtfinden müssen.

Aber auch auf Netanjahu kommen schwierige Wochen zu. Der Premier ist auf die Unterstützung des früheren Verteidigungsministers Avigdor Lieberman, Chef der konservativ-weltlichen Partei Israel Beteinu (Israel ist unser Heim), angewiesen. Sein Rücktritt im November hat die vorgezogenen Wahlen mitausgelöst. Lieberman, einst ein Zögling Netanjahus, hatte mit seinem Rückzug aus der Regierung gegen die Zusammenarbeit mit seinem Chef protestiert. Netanjahu überging den Verteidigungsminister, als er einem Waffenstillstand mit der Hamas und Hilfsgeldern in Millionenhöhe aus Katar für den Gazastreifen zustimmte.
Lieberman weiß, dass es diesmal für Netanjahu um mehr geht als um seine politische Karriere. Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit empfahl in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue Anklage gegen den Regierungschef. Zuvor muss sich Netanjahu aber einer Anhörung stellen. Die Vorwürfe würden sich „in Luft auflösen“, zeigt sich Netanjahu überzeugt. Ihm und seinen Anwälten bleiben drei Monate, um sich anhand der Polizeiakten auf das Hearing vorzubereiten.
Das „Französische Gesetz“
Der einzige Weg, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wäre eine Gesetzesreform. Ein Entwurf für das sogenannte Französische Gesetz, das dem Premier Immunität verschaffen würde, liegt schon zur Diskussion bereit. Nach gültigem Recht ist nur der Staatspräsident vor einem Verfahren gefeit. Da es sich um ein Grundgesetz handelt, ist eine absolute Mehrheit im Parlament nötig. Ohne die fünf Stimmen der Israel Beteinu ist dies indes ein aussichtsloses Unternehmen. Das Gesetz ist Liebermans Koalitionsjoker. Finanzminister Mosche Kachlon gilt im Gegensatz zu Lieberman jedoch als nicht käuflich. Der Kulanu-Chef schließt im Fall einer Anklage Netanjahus eine Fortdauer der Koalition aus.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2019)