Die riskante Brexit-Wette der EU

REUTERS/Susana Vera?
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Die Union gibt den Briten nun bis zum 31. Oktober Aufschub, um ihren Austritt endlich zu regeln. Doch mit dieser Verlängerung haben sich die Europäer erpressbar gemacht.

War es das jetzt? Bis zum 31. Oktober soll die britische Premierministerin Theresa May nun Zeit haben, um das seit Monaten fertig verhandelte Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU doch noch durch ihr Parlament in Westminster zu bringen. Die Ratio hinter diesem Datum für den Aufschub des Brexit, auf welches sich die 27 Staats- und Regierungschefs nach Mitternacht in Brüssel bei ihrem Krisengipfeltreffen geeinigt hatten, lautet so: ein knappes halbes Jahr gibt May ausreichend viel Zeit, um mit der oppositionellen Labour-Partei Einigung darüber zu finden, welches Verhältnis man künftig mit der EU wünscht (und an diese Übereinkunft würden die dringend benötigten Labour-Stimmen für das Austrittsabkommen geknüpft).

Zugleich träten die Briten vor Antritt der neuen Mannschaft der Europäischen Kommission am 1. November aus: sie hätten also weder das Recht darauf, einen eigenen Kommissar zu stellen, noch dürften britische Europaabgeordnete bei der Bestätigung der Kommissionsequipe im Europäischen Parlament mitstimmen.

Doch so sauber, wie die Stäbe der Staats- und Regierungschefs nun versuchen, diese Lösung zu präsentieren, ist sie nicht. Im Gegenteil: mit diesem Aufschub ist weder genug Zeit für eine grundlegende politische Neuordnung im Vereinigten Königreich gegeben (sei es durch vorgezogene Neuwahlen oder durch eine zweite Volksabstimmung), noch hat er den Umstand beseitigt, dass der Brexit weiterhin einen großen Teil der Aufmerksamkeit und Zeit der europäischen Entscheidungsträger in Brüssel und in den Hauptstädten in Anspruch nimmt. Glaubt jemand ernsthaft, dass die Gipfeltreffen bis dann brexitfrei sein werden?

Zudem werden die Chefposten in Kommission, Europäischem Rat, Europaparlament und Europäischem Auswärtigem Dienst üblicherweise zwischen Juli und Oktober ausgehandelt. Da sind die Briten aber noch Mitglied, mit allen Rechten und Pflichten. Was hindert May oder einen möglicherweise der EU offen feindselig eingestellten Nachfolger wie Boris Johnson daran, in dieser Zeit Sand ins Getriebe der Union zu streuen - ungeachtet der May heute Nacht abgerungenen, rechtlich unverbindlichen Zusage, sich nicht in die Belange der EU einzumischen?

Und überhaupt: wer garantiert, dass das traurige Brexit-Spektakel am 31. Oktober tatsächlich sein Ende findet? Niemand kann das heute. Schon weisen Beobachter darauf hin, dass am 17. Oktober ein regelmäßiger Europäischer Rat im EU-Kalender steht. Er böte sich an, eine weitere Verlängerung des Aufschubs zu beschließen, falls die Briten bis dann noch immer nicht wissen, was sie wollen. Die Europäer haben sich jedenfalls mit ihrer klaren Ablehnung eines „harten“ Brexit ohne Austrittsabkommen erpressbar gemacht. So unerfreulich ein derartiger „No-Deal“ auch wäre: vielleicht müssen die britischen Politiker einmal wirklich in den politischen und wirtschaftlichen Abgrund blicken, in den sie ihr Land manövriert haben, um sich des Ernstes der Lage bewusst zu werden.

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