Cremen vs Puder

Ein Beben geht durch die Kosmetikbranche

(c) Alex Trommlitz
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Pflegeprodukte laufen Make-up den Rang ab. Wir zeigen, dass verschiedene Texturen auch auf der Haut schön anzusehen sind.

Dass die einfachsten Ideen oft die besten sind, werden die Erfinder des Post-its (Arthur Fry und Spencer Silver) genauso gern bestätigen wie die des Hula-Hoop-Reifens (Richard Knerr und Arthur Melin). Auch der weltweite Erfolg der Beautybranche basiert auf einer fast schon banal klingenden Einsicht, nämlich: Die meisten Menschen möchten lieber schön und gepflegt aussehen als zottelig und verwahrlost. Das Resultat dieser simplen Rechnung: Jährlich geben Konsumenten und – ja, vor allem – Konsumentinnen rund 465  Milliarden Dollar für Kosmetik aus. Einen Großteil davon verdienten die Hersteller dabei mit dem Absatz von Foundations, Lippenstiften, Wimperntusche und Nagellack. Bisher. 

Denn das Blatt hat sich gewendet. Die internationalen Branchenführer wie Estée Lauder und L’Oréal verdienten im vergangenen Quartal mehr mit Hautpflegeprodukten als mit dekorativem Make-up. Für beide Unternehmen, die zu den sieben größten Herstellern von Beautyartikeln zählen, avancierten Lotionen, Cremes, Seren, Toner oder auch Masken – und hier vor allem Produkte aus dem hochpreisigen Segment – zu echten Cash-Cows. Den Grund dafür sieht Andrea Schmoranzer-Jerabek, General Managerin von L’Oréal Luxe Österreich (u. a. Lancôme, Biotherm, Helena Rubinstein), in den neuen Märkten: „Bei L’Oréal liegt der absolute Fokus schon immer auf Gesichtspflege, das ist der Bereich, in dem wir unsere Forschungsexpertise am besten unter Beweis stellen können.

Global gesehen spielt sicher das Wachstum des asiatischen Marktes die Hauptrolle." Asiatinnen sind an tägliche, mehrstufige Pflegerituale gewöhnt, das habe starken Einfluss auf diese Entwicklung. „Aus Asien kommen viele Trends. Marken wie Lancôme, die dort eine führende Rolle spielen, kommen den Bedürfnissen dieser Konsumentinnen nach, und somit halten diese Pflegerituale auch Einzug in Europa", erklärt die L’Oréal-Managerin. Zudem sei das Phänomen der Gobal Shopper – also eine internationale Klientel, die in Europa von der hier günstigeren Markenware und den steuerlichen Vorteilen profitiert – mittlerweile auch ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts. 

Intimes Ritual. Auch Thomas Pross von dem japanischen Beauty-Unternehmen Kanebo Cosmetics Deutschland registriert eine Trendwende. Der General Manager der Marken Kanebo und Sensai erläutert: „Asiatische – besonders japanische – Einflüsse sind zu einem beständigen Lebensgefühl geworden. Japaner gelten als diszipliniert, geduldig, feinsinnig und schöngeistig. Sie sind Meister der Ästhetik – alles Attribute, die weltweit und besonders in Europa gut ankommen." Dass erstmals mehr Pflege als Dekoratives verkauft worden ist, erklärt sich Pross auch damit, dass sich der Mensch bei der Basis-Hautpflege Beständigkeit, Sicherheit und hohe Qualität wünsche. „Pflege ist etwas Dauerhaftes, Ernsthaftes, Intimes. Hier will der Konsument nicht unbedingt alle drei bis vier Monate wechseln oder neu ausprobieren." Und höchstwahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass dieser Tage eine disziplinierte, geduldige Japanerin namens Marie Kondō für unsere innere Ordnung und aufgeräumte Badezimmerregale sorgt. Does it spark joy?

Aber auch im guten alten Amerika verlor die dekorative Kosmetik in den vergangenen Jahren ihre Vorherrschaft. So zeigt ein aktueller Bericht des US-Marktforschungsinstituts NPD Group, dass das Wachstum des Hautpflegebereichs in den USA im Vergleich zum Vorjahr ganze 16  Prozent betrug, während der Make-up-Umsatz nur um drei Prozent zunahm. Gänzlich nachtrauern müssen wir Creamblush, Concealer & Co. allerdings nicht. Vielmehr verschieben sich die Prioritäten. Anita Marschalek, Director Public Relations bei Estée Lauder Austria (z. B. Clinique, La Mer, Darphin), prophezeit: „Meiner Meinung nach werden sich tendenziell in der Zukunft immer mehr Frauen schminken. Das beginnt nur bereits bei der Pflege der Haut. Diese wird mehr denn je analysiert, schließlich ist ihr perfekter Zustand die Basis für das Make-up und ganz besonders wichtig für Trends wie den reduzierten No-Make-up-Look." Die ungeschminkte Wahrheit passt demnach auf ein Post-it: Schönheit ist ganz einfach.

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