Warum China zehn Millionen Jugendliche aufs Land schicken will

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Studenten sollen den zurückgebliebenen ländlichen Regionen zu einem neuen Aufschwung verhelfen. Doch einige sehen sich in Chinas dunkle Vergangenheit zurückversetzt.

Einige erinnert es an eine der dunkelsten Perioden in der jüngsten chinesischen Geschichte: Die Volksrepublik will in den kommenden drei Jahren zehn Millionen Berufsschüler und Universitätsstudenten aufs Land schicken. Die jungen „Freiwilligen“ sollen bei der kulturellen, technologischen und medizinischen Entwicklung in ländlichen Gebieten helfen, schreibt das nationalistische Regierungsblatt „Global Times".

In den Sommermonaten sollen sie in alte Revolutionsbasen, in sehr arme Gegenden und Minderheitengebiete geschickt werden. Vor allem, um mit ihrem digitalen und technischen Verständnis bei der Armutsbekämpfung und Wirtschaftsentwicklung der zurückgebliebenen Regionen zu helfen, heißt es in einem Papier, das von der Jungendorganisation der Kommunistischen Partei, dem Kommunistischen Jugendverband, veröffentlicht wurde.

Über Generationen hinweg hätten Chinas urbane Zentren von der Abwanderung aus ländlichen Regionen profitiert, heißt es in dem Artikel der „Global Times", da junge Bauern auf der Suche nach Jobs in die Städte migriert seien. Nun solle sich das Blatt wieder wenden.

Exodus stellt Landbevölkerung vor Herausforderung

Tatsächlich wäre das chinesische Wirtschaftswunder nicht ohne die gigantische Masse billiger Arbeitskräfte möglich gewesen. Auch heute noch machen Chinas Wanderarbeiter, die ihre Familien monatelang verlassen, um in den Städten arbeiten zu gehen, ein Drittel der gesamten Arbeitsbevölkerung der Volksrepublik aus.

Zudem sind in einem regelrechten Exodus in den vergangenen Jahrzehnten Hunderte Millionen Chinesen vom Land in die urbanen Zentren gezogen: Zählte Chinas Landbevölkerung Anfang der 1990er Jahre noch mehr als 800 Millionen Menschen, sind es heute nur mehr 577 Millionen. Und der Trend hält an.

Das stellt die rasant alternde Landbevölkerung vor enorme Herausforderungen: Die Produktivität in den ohnehin bitterarmen Regionen sinkt. So fortgeschritten ist der Brain Drain, dass Chinas Staats- und Parteichef zu einer „ländlichen Wiederbelebung“ aufgerufen hat. Die Talente sollen wieder auf das Land zurückkehren. Damit will die KP-Führung Aufstände in der Landbevölkerung verhindern und das Wachstum der bereits überquellenden Städte eindämmen.

Sie steht unter Druck, ihr eigenes Versprechen einzulösen: Bis 2020 will Peking China zu einer „gemäßigt wohlhabenden Gesellschaft“ machen. Bis dahin soll die gesamte chinesische Bevölkerung über die Armutsgrenze gehoben werden. Das Ziel ist hoch gesteckt: Es handelt sich dabei um 30 Millionen Menschen.

Ideologische Kontrolle bis in die letzten Winkel des Landes

So ist es kein Wunder, dass Peking als erstes politisches Dokument dieses Jahr seine Strategie für den ländlichen Raum darlegte: Die Digitalisierung der Landwirtschaft soll die Produktivität wieder ankurbeln. Vor dem Hintergrund des schwelenden Handelskriegs mit den USA streicht die Führung die Bedeutung der Eigenproduktion von Reis, Weizen und Sojabohnen hervor. Und: Die Kommunistische Partei müsse ihre ideologische Kontrolle über die Landbevölkerung bewahren.

Und auch vor diesem Hintergrund ist die jüngste Jugendkampagne zu beurteilen: Die Studenten sollten die „kulturelle und spirituelle Zivilisation“ in der Landbevölkerung befördern, ruft der Kommunistische Jugendverband auf. Sprich: die Ideologie der Kommunistischen Partei, die sogenannten sozialistischen Kernwerte, auch in die entferntesten Regionen des 1,4-Milliarden-Landes zu verbreiten.

Auch Xi Jinping wurde aus der Stadt verbannt

"Hat es wieder begonnen?", fragte sich ein Nutzer des chinesischen Kurznachrichtendienstes Weibo: Nachdem Staatsgründer Mao Zedong 1966 die junge Bevölkerung mobilisiert hatte, um Kritiker in der Bevölkerung auszuschalten, schickte er die außer Kontrolle geratenen Jugendlichen später zur „Umerziehung“ auf das Land.

Zwischen 1968 und 1980 wurden 17 Millionen junge Chinesen aus den Städten verbannt. Perspektivlos fristeten sie ihr Dasein in den Dörfern, in denen 200 Millionen Menschen chronisch unterernährt waren. Auch Xi Jinping, dessen Vater bei Mao in Ungnade gefallen war, lebte sieben Jahre in einer Höhle in einem entlegenen Dorf in Zentralchina. Doch in einer Nostalgie für die Mao-Ära bewertet er die Zeit heute positiv: Diese Erfahrungen hätte ihn zu dem gemacht, der er heute sei.

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