Israel-Palästina: "So kann es nicht weitergehen"

(c) Peter Kufner
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Mehr als 35 ehemalige EU-Außenminister senden einen Appell an die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Ein exklusiver Abdruck auf Deutsch und Englisch.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Liebe Leserinnen und Leser, Sie können den offenen Brief der über 30 ehemaligen Außenminister Europas am Ende des Textes auch in der Originalfassung auf Englisch lesen.

Liebe verehrte Kollegen,
liebe Hohe Vertreterin!

Es ist Zeit für Europa, für unsere grundsätzlichen Friedensparameter in Israel-Palästina einzutreten.

Wir wenden uns an Sie zu einem kritischen Zeitpunkt, sowohl für den Mittleren Osten als auch für Europa. Die EU hat sich einer multilateralen, regelbasierten Ordnung verpflichtet. Internationales Recht hat unserem Kontinent die längste Periode von Frieden, Wohlstand und Stabilität jemals beschert. Seit Jahrzehnten bemühen wir uns, dass unsere israelischen und palästinensischen Nachbarn in den Genuss derselben Friedensdividende kommen, von der wir Europäer durch unsere Verpflichtung zu dieser Ordnung profitiert haben.

Gemeinsam mit früheren US-Regierungen hat Europa sich für eine gerechte Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung eingesetzt. Bis heute ist das Oslo-Abkommen, trotz nachträglicher Rückschläge, ein Meilenstein der transatlantischen außenpolitischen Zusammenarbeit.

Leider ist die derzeitige US-Regierung von der seit langem geltenden amerikanischen Politik abgewichen und hat sich von etablierten internationalen Rechtsnormen distanziert. Sie hat bisher nur den Anspruch einer Seite auf Jerusalem anerkannt und zeigt eine verstörende Gleichgültigkeit gegenüber der Ausweitung israelischer Siedlungen. Die USA haben die finanzielle Unterstützung für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten eingefroren, sowie für andere Programme, von denen Palästinenser profitieren.

Im Gegenzug (...) hat die Trump-Regierung bekannt gegeben, dass sie kurz vor der Finalisierung und Präsentation eines neuen israelisch-palästinensischen Friedensplans steht. Obwohl es unsicher ist, ob und wann dieser Plan veröffentlicht wird, ist es entscheidend für Europa, auf der Hut zu sein und strategisch zu handeln.

Wir glauben, dass Europa einen Plan fördern sollte, der die Prinzipien des internationalen Rechts respektiert wie sie auch die EU-Parameter für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts widerspiegeln. Diese Parameter (...) drücken unsere gemeinsame Überzeugung aus, dass ein haltbarer Frieden die Schaffung eines palästinensischen Staates Seite an Seite mit Israel auf Basis der Grenzen von vor 1967 mit einem vereinbarten, minimalen und gleichwertigen Landtausch erforderlich macht; mit Jerusalem als Hauptstadt für beide Staaten; (...) und mit einer vereinbarten fairen Lösung für die Frage der palästinensischen Flüchtlinge.

Gleichzeitig sollte Europa jeden Plan ablehnen, der diesem Standard nicht entspricht. Obwohl wir Washingtons Frustration mit vergangenen erfolglosen Friedensbemühungen teilen, sind wir überzeugt, dass ein Plan, der die palästinensische Staatlichkeit auf eine Einheit ohne Souveränität, territoriale Einheitlichkeit und wirtschaftliche Lebensfähigkeit reduziert, die Fehlschläge früherer Vermittlungsversuche verstärken, den Untergang der Zwei-Staaten-Lösung beschleunigen und das Projekt eines haltbaren Friedens für Palästinenser wie für Israelis irreparabel beschädigen würde.

Europas bevorzugte Option ist es natürlich, mit den USA zusammenzuarbeiten, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen (...). In Situationen allerdings, in denen unsere vitalen Interessen und fundamentalen Werte auf dem Spiel stehen, muss Europa seinen eigenen Weg gehen.

In Vorwegnahme dieses US-Plans glauben wir, dass Europa nochmals offiziell die international akkordierten Parameter der Zwei–Staaten-Lösung bestätigen sollte. Geschieht das noch vor Vorlage des US-Plans, legt man damit die EU-Kriterien für die Unterstützung amerikanischer Bemühungen fest und erleichtert eine kohärente und gemeinsame europäische Antwort, wenn der Plan veröffentlicht wird.

Europäische Regierungen sollten sich außerdem verpflichten, ihre Bemühungen zum Schutz einer lebensfähigen Zwei–Staaten-Lösung zu intensivieren. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass die EU und alle Mitgliedsländer die Implementierung der entsprechenden UN–Resolutionen forcieren. (...) Auch die zunehmenden Versuche, die Arbeit der Zivilgesellschaft zu behindern, machen die europäische Unterstützung für die Verteidiger der Menschenrechte in Israel und Palästina und ihre kritische Rolle für einen haltbaren Frieden wichtiger denn je.

Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete schlittern in Richtung einer Ein-Staat-Realität mit ungleichen Rechten. Das kann so nicht weitergehen. Für die Israelis, für die Palästinenser und für uns in Europa.

Europa steht vor einer einmaligen Gelegenheit, unsere gemeinsamen Prinzipien und seit langem vertretenen Überzeugungen in Bezug auf den Friedensprozess im Mittleren Osten zu bestätigen und damit Europas einzigartige Rolle als Referenzpunkt für eine regelbasierte Weltordnung zu unterstreichen.

Sollten wir diese Gelegenheit allerdings zu einem Zeitpunkt ungenützt verstreichen lassen, an dem diese Ordnung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß in Frage gestellt wird, hätte das weitreichende negative Konsequenzen.

Hochachtungsvoll,
Douglas Alexander, ehem. Europaminister Großbritanniens
Jean Marc Ayrault, ehem. Außenminister Frankreichs
Carl Bildt, ehem. Premier und Außenminister Schwedens
Wlodzimierz Cimoszewicz, ehem. Premier und Außenmin. Polens
Willy Claes, ehem. Außenmin. Belgiens und Nato-Generalsekretär
Massimo d'Alema, ehem. Premier und Außenminister Italiens
Karel De Gucht, ehemalige Außenminister und EU-Kommissar Belgiens
Uffe Ellemann-Jensen, ehem. Außenminister Dänemarks
Benita Ferrero-Waldner, ehem. Außenmin. Österreichs und EU-Kommissarin
Franco Frattini, ehem. Außenminister Italiens
Sigmar Gabriel, ehem. Vizekanzler und Außenminister Deutschlands
Lena Hjelm-Wallén, ehem. Außenministerin Schwedens
Eduard Kukan, ehem. Außenminister der Slowakei
Martin Lidegaard, ehem. Außenminister Dänemarks
Mogens Lykketoft, ehem. Außenminister Dänemarks
Louis Michel, ehem. Außenminister Belgiens
David Miliband, e. Außenmin. UK
Holger K. Nielsen, ehem. Außenminister Dänemarks
Marc Otte, ehem. EU-Nahostbeauftragter, Belgien
Ana Palacio, ehem. Außenministerin Spaniens
Vesna Pusić, ehem. Außenministerin und Vize-Premier Kroatiens
Mary Robinson, ehem. UNHCR-Präsidentin, Irland
Robert Serry, ehem. UN-Spezialkoordinator für den Nahen Osten, NL
Javier Solana, ehem. Außenminister Spaniens, Nato-Generalsekretär Per Stig Møller, ehem. Außenminister Dänemarks
Michael Spindelegger, ehem. Außenminister u. Vizekanzler Österreichs
Jack Straw, ehem. Außenmin. UK Desmond Swayne, ehem. Minister für intern. Entwicklung, UK
Erkki Tuomioja, ehem. Außenminister Finnlands
Ivo Vajgl, ehem. Außenminister Sloweniens
Frank Vandenbroucke, ehem. Außenminister Belgiens
Jozias van Aartsen, ehem. Außenminister der Niederlande
Hubert Vedrine, ehem. Außenminister Frankreichs
Guy Verhofstadt, ehem. Premier Belgiens
Lubomír Zaorálek, ehem. Außenminister Tschechiens

English Version:

Dear honored colleagues, dear High Representative

It is time for Europe to stand by our principled parameters for peace in Israel-Palestine. We are reaching out at a critical point in time in the Middle East, as well as in Europe.

The EU is heavily invested in the multilateral, rules-based international order. International law has brought us the longest period of peace, prosperity and stability our continent has ever enjoyed. For decades, we have worked to see our Israeli and Palestinian neighbours enjoy the peace dividends that we Europeans have through our commitment to that order.

In partnership with previous US Administrations, Europe has promoted a just resolution to the Israeli-Palestinian conflict in the context of a two-state solution. To this date, despite subsequent set-backs, the Oslo Agreement is still a milestone of transatlantic foreign policy cooperation.

Unfortunately, the current US administration has departed from longstanding US policy and distanced itself from established international legal norms. It has so far recognised only one side’s claims to Jerusalem and demonstrated a disturbing indifference to Israeli settlement expansion. The US has suspended funding for the UN agency for Palestinian refugees (UNRWA) and for other programmes benefitting Palestinians - gambling with the security and stability of various countries located at Europe’s doorstep.

Against this unfortunate absence of a clear-cut commitment to the vision of two states, the Trump administration has declared itself close to finalising and presenting a new plan for Israeli-Palestinian peace. Despite uncertainty as to if and when the plan will be released, it is crucial for Europe to be vigilant and act strategically.

We believe that Europe should embrace and promote a plan that respects the basic principles of international law as reflected in the agreed EU parameters for a resolution to the Israeli-Palestinian conflict. These parameters, which the Union has systematically reaffirmed during past US-sponsored talks, reflect our shared understanding that a viable peace requires the creation of a Palestinian state alongside Israel on borders based on the pre-1967 lines with mutually agreed, minimal and equal land swaps; with Jerusalem as the capital for both states; with security arrangements that address legitimate concerns and respect the sovereignty of each side and with an agreed, fair solution to the question of Palestine refugees.

Europe, by contrast should reject any plan that does not meet this standard. While sharing Washington’s frustrations about the unsuccessful peace efforts of the past, we are convinced that a plan that reduces Palestinian statehood to an entity devoid of sovereignty, territorial contiguity and economic viability would severely compound the failure of previous peace-making efforts, accelerate the demise of the two-state option and fatally damage the cause of a durable peace for Palestinians and Israelis alike.

It is, of course, preferable for Europe to be working in tandem with the US to solve the Israeli-Palestinian conflict, as well as to address other global issues in a strong, transatlantic alliance. However, in situations in which our vital interests and fundamental values are at stake, Europe must pursue its own course of action.

In anticipation of this US plan, we believe Europe should formally reaffirm the internationally agreed parameters for a two-state solution. Doing this in advance of the US plan establishes the EU’s criteria for supporting American efforts and facilitates a coherent and unified European response once the plan is published.

European governments should further commit to scale up efforts to protect the viability of a future two-state outcome. It is of the utmost importance that the EU and all member states actively ensure the implementation of relevant UN Security Council Resolutions – including consistent differentiation in accordance with UN Security Council Resolution 2334, between Israel in its recognised and legitimate borders, and its illegal settlements in the occupied territories.

Furthermore, recent escalating efforts to restrict the unhindered work of civil society have made European support for human rights defenders in both Israel and Palestine and their critical role in reaching a sustainable peace more important than ever.

Israel and the occupied Palestinian territories are sliding into a one-state reality of unequal rights. This cannot continue. For the Israelis, for the Palestinians or for us in Europe.

Right now, Europe is facing a defining opportunity to reinforce our shared principles and long-held commitments in relation to the Middle East Peace Process and thereby manifest Europe’s unique role as a point of reference for a rules-based global order.

On the contrary, failing to seize this opportunity, at a point in time where this order is unprecedentedly challenged, would have far-reaching negative consequences.

Yours sincerely,

Douglas Alexander, former Minister of State for Europe, United Kingdom

Jean Marc Ayrault, former Foreign Minister and Prime Minister, France

Carl Bildt, former Foreign Minister and Prime Minister, Sweden

Wlodzimierz Cimoszewicz, former Foreign Minister and Prime Minister, Poland

Willy Claes, former Foreign Minister and NATO Secretary General, Belgium

Massimo d’Alema, former Foreign Minister and Prime Minister, Italy

Karel De Gucht, former Foreign Minister and European Commissioner, Belgium

Uffe Ellemann-Jensen, former Foreign Minister and President of the European Liberals, Denmark

Benita Ferrero-Waldner, former Foreign Minister and European Commissioner for External Relations, Austria

Franco Frattini, former Foreign Minister and European Commissioner, Italy

Sigmar Gabriel, former Foreign Minister and Vice Chancellor, Germany

Lena Hjelm-Wallén, former Foreign Minister and Deputy Prime Minister, Sweden

Eduard Kukan, former Foreign Minister, Slovakia

Martin Lidegaard, former Foreign Minister, Denmark

Mogens Lykketoft, former Foreign Minister and UN General Assembly President, Denmark

Louis Michel, former Foreign Minister and European Commissioner, Belgium

David Miliband, former Foreign Secretary, United Kingdom

Holger K. Nielsen, former Foreign Minister, Denmark

Marc Otte, former EU Special Representative to the Middle East Peace Process, Belgium

Ana Palacio, former Foreign Minister, Spain

Vesna Pusić, former Foreign Minister and Deputy Prime Minister, Croatia

Mary Robinson, former President and United Nations High Commissioner for Human Rights, Ireland

Robert Serry, former UN Special Coordinator for the Middle East Peace Process, The Netherlands

Javier Solana, former Foreign Minister, NATO Secretary General and EU High Representative for Common Foreign and Security Policy, Spain

Per Stig Møller, former Foreign Minister, Denmark

Michael Spindelegger, former Foreign Minister and Vice-Chancellor, Austria

Jack Straw, former Foreign Secretary, United Kingdom

Desmond Swayne, former Minister of State for International Development, United Kingdom

Erkki Tuomioja, former Foreign Minister, Finland

Ivo Vajgl, former Foreign Minister, Slovenia

Frank Vandenbroucke, former Foreign Minister, Belgium

Jozias van Aartsen, former Foreign Minister, The Netherlands

Hubert Vedrine, former Foreign Minister, France

Guy Verhofstadt, former Prime Minister, Belgium

Lubomír Zaorálek, former Foreign Minister, Czech Republic

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2019)

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