Kunst ist nie moralisch entartet. Nur ins Kanzleramt gehört Nolde nicht.

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Der Maler Emil Nolde war ein schlimmer Nazi. Merkel verbannt ihn aus ihrem Arbeitszimmer. Der Bilderstreit tobt. Aber man schießt auf das falsche Ziel.

Viel hat nicht gefehlt, und Emil Nolde wäre der Staatskünstler des Dritten Reiches geworden. Goebbels war sein Fürsprecher, Himmler lud ihn zu sich ein, Nazi-Industrielle kauften zuhauf seine Bilder von lieblichen Blumen und dräuenden Wolken. Der Maler selbst beschrieb seine Kunst als „deutsch, stark, herb und innig“. Auf Linie war Nolde allemal: ein glühender Antisemit, der einen „Entjudungsplan“ vorlegte, sich dem Regime anbiederte und den Führer verehrte. Eine unerfüllte Liebe: Für Hitler gehörten die Arbeiten des Expressionisten zur „entarteten Kunst“. Was Nolde nach dem Krieg die Gelegenheit bot, seine Biografie pastos zu übermalen: Der Einsame von Seebüll stilisierte sich zum Helden des inneren Widerstands. Seit Siegfried Lenz ihn in der „Deutschstunde“ so geschönt porträtierte, erstrahlte das Sinnbild des Standhaften aus dunkler Zeit in noch leuchtenderen Farben. Erst seit Kurzem wankt der Mythos, nun bringt ihn eine Ausstellung in Berlin ganz zum Einsturz.

Das donnert so laut, dass Angela Merkel die beiden Noldes in ihrem Arbeitszimmer schon im Vorfeld verschreckt abgehängt hat. Prompt tobt im deutschen Feuilleton der Bilderstreit. Von „Tugendhysterie“ ist die Rede, von einer „hysterisch geführten Moraldebatte“. Der Reflex ist verständlich. Denn heute drohen die Konturen zwischen der ästhetischen Dignität eines Werks und dem moralischen Urteil über seinen Schöpfer völlig zu verschwimmen. Radiostationen spielen Michael Jackson nicht mehr. Eine Uni in Berlin entfernt Verse Eugen Gomringers wegen des Verdachts auf Sexismus von ihrer Fassade. Schulbibliotheken entsorgen Bücher mit unerwünschten Inhalten, zuletzt in Barcelona sogar Rotkäppchen. Was kränken oder verstören könnte, landet sicherheitshalber im Depot. Und wer weiß: Vielleicht beschert uns der jakobinische Furor in einer gar nicht so fernen Zukunft eine „pädagogisch wertvolle“ Wanderausstellung über „moralisch entarte Kunst“.

Das klingt nach Dystopie, wäre aber nur eine fortgeschriebene Tendenz. Sie steht quer zum Wesen von Kunst. Große Werke erfüllen nicht unseren Wunsch nach Harmonie und Seelenfrieden. Sie rütteln auf, irritieren und bewegen, auf immer neue, fruchtbare Weise. Durch sie verlassen wir das Museum, Theater oder Konzert als andere, bewusstere Menschen. Besenrein und keimfrei ist Kunst einfach nicht zu haben. Künstler sind Menschen, die durch ihre Arbeit die „Dämonen im Herzen“ bändigen, wie Trakl schrieb. Der Blick in den Abgrund macht aus ihnen keine besseren Menschen, oft genug im Gegenteil. Aber das Werk erhebt sich über den Schöpfer. Es ist autonom, sagt uns viel mehr und anderes, als der Künstler im Alltag so alles gesagt und getan hat.

Miese Gestalten können höchste Kunst schaffen: Mit dieser Ambivalenz muss eine reife, liberale Gesellschaft leben können. Ohne zu verstecken, kaschieren und beschönigen, wie es die Nachkriegsgeneration getan hat. Nolde gehört nicht abgehängt, sondern der aufklärende Kommentar dazugehängt. Das könnte sogar – nur scheinbar paradox – seine heute allzu gefällig wirkenden Dahlien, Meereswellen und Heiligen wieder relevant machen.

Allein: Ins deutsche Kanzleramt gehört Nolde nicht. Mit ihm ist 2019 kein Staat mehr zu machen – und kein Raum zu schmücken, in dem sich eine Nation ihren Gästen präsentiert. Es geht um Selbstbild und Selbstverständnis eines Landes. Die kollektive Frage dazu ist nicht: Wo kommen wir her?, sondern: Wo wollen wir hin? Da sind Bilder eines Malers, dessen Biografie in fast paradigmatischer Weise aufzeigt, was in diesem Land im vergangenen Jahrhundert aufs Gröbste schiefgelaufen ist, einfach fehl am Platz. Merkel agierte zu verschämt, sie hätte sich erklären sollen. Aber im Grunde hat sie das Richtige getan.

Auch wenn die Suche nach Ersatz nun die Sphäre der Komik streift. Merkel wollte Schmidt-Rottluff, der ähnlich hübsch Blumen malte. Aber zu dumm: Auch dieser Maler äußerte sich antisemitisch. Also bleiben die Wände des Arbeitszimmers vorerst leer. Kanzlerin mit Rautenhand vor blendend weißer Wand: fast schon ein Kunstwerk.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2019)

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