Literaturmuseum: „Der Tod ist groß, aber Wien ist auch groß“

Frederic Mortons Reiseschreibmaschine der Marke Royal Safari von 1964.
Frederic Mortons Reiseschreibmaschine der Marke Royal Safari von 1964.(c) ÖNB
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Die Sonderausstellung „Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur“ gibt überraschende Einblicke in die literarischen Inspirationsquellen der Donaumetropole nach 1945: von Traum-, Albtraum- und Erinnerungslandschaften.

Das Wiener Literaturarchiv ist einen weiten Weg gegangen, um vom glanzvollen Wien des Fin de Siècle ins Elend der zerbombten Stadt nach 1945 zu gelangen. „Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur“ heißt die Sonderausstellung, die soeben im Grillparzerhaus in der Johannesgasse eröffnet wurde. Sie demonstriert: So armselig die Wiederaufbauzeit für die Bevölkerung war, so bereichernd war sie für die österreichische Literatur.

Naturgemäß sind es nicht die Trampelpfade durch die Stadt, auf denen die Literatinnen und Literaten ihre Erkundungen vorgenommen haben. Ihre Absicht ist es, das Spezifische einer Stadt literarisch einzufangen. Das, was in Reiseführern nicht zu finden ist: die Stadt charakterisierende Orte abseits von Sehenswürdigkeiten. So gesehen ist die Literatur der grauen Jahre ein bunter Reiseführer in ein abseitiges Wien.

Stadt der Schieber und Spione

In das untergründige Wien etwa kann man nicht nur hinabsteigen oder es im wohl berühmtesten Film der Nachkriegsgeschichte auf der Leinwand betrachten. Man kann Graham Greenes Roman „Der dritte Mann“ auch lesen. Etliche Ausgaben des Buches, Fotos zu den Dreharbeiten sowie Plakate zur Uraufführung 1950 sind hier ausgestellt. „Tatort Wien“ heißt die vierte von fünf Abteilungen der Ausstellung, die sich mit der Stadt der Schieber und Spione beschäftigt. In Heimito von Doderers 1956 erschienenem Roman „Die Dämonen“ ist es der Mörder Meisgeier, der durch das Wiener Kanalnetz zum Justizpalast schleicht. Kriminelle Machenschaften sind gern in Wien angesiedelt, von Dorothea Zemanns Krimi „Die Geschiedenen“, in dessen Zentrum ein Mord im Prater-Milieu steht, bis zu Josef Haslingers Politthriller „Opernball“.

Die Autorinnen und Autoren, so Kurator Bernhard Fetz, kann man einteilen in Fußgänger und Stubenhocker. Peter Handke etwa ist vom Flughafen über den Alberner Hafen zu Fuß zum Burgtheater spaziert. Eingeflossen ist diese Erfahrung in seinen Roman „Die morawische Nacht“, in dem er im (inzwischen abgerissenen) Gasthaus beim „Friedhof der Namenlosen“ auf Maultrommelspieler stößt. Thomas Bernhard dagegen ist trotz seiner Erzählung namens „Gehen“ eher als „Kopfgänger“ bekannt. Die zwei „erfahrenen Spaziergänger“ in diesem Frühwerk schlendern im Grunde nur zum Schein durch die Klosterneuburger Straße. Tatsächlich bewegen sie sich typisch bernhardesk in ihren Gedankenräumen. In der Ausstellung sind etliche Fotos von Gebäuden zu sehen, die Literaten zu Gedanken inspirierten.

Gerade für die 1950er-Jahre wichtig ist das fünfte, nach einem Gedicht Robert Schindels „Vergessenshauptstadt“ benannte Kapitel. So mancher 1938 aus Wien Geflohene oder Vertriebene hatte Heimweh, wie die Figur Dojno Faber in Manès Sperbers Roman „Wie eine Träne im Ozean“, und wäre gern trotz der grauenhaften Erfahrungen zurückgekommen. Nur: Es gibt niemanden, der sie zur „Rückkehr nach Wien“ eingeladen hätte. So nennt Hilde Spiel ihren Bericht über die Wiederbegegnung mit emotional aufgeladenen Orten. Ähnlich ging es Frederic Morton, der es 1939 als Fritz Mandelbaum in die USA schaffte. Seine Reiseschreibmaschine der Marke Royal Safari von 1964 ist ein Prunkstück der Schau. Als KZ-Überlebende besuchte Ruth Klüger ihre Geburtsstadt. Ausgestellt sind ein Foto, auf dem sie als aufgewecktes Mädchen im Esterházypark zu sehen ist, und ein Manuskript mit einem Gedicht namens „Hasipark“, das sie für ihren Vater geschrieben hat.

Bachmanns „Malina“ im Original

Was Ruth Klüger Gumpendorf war, das war Ingeborg Bachmann ihr „Ungargassenland“. Das Originalmanuskript ihres dort angesiedelten Romans „Malina“ ist erstmals in der Abteilung „Wienblicke“ zu sehen. Autoren wie Bodo Hell oder Robert Schindel haben die Stadt nicht nur literarisch beschrieben, sondern auch fotografiert. Hinaus in die Vorstadt führt das zweite Kapitel „Peripherien“. Es reicht von Andreas Okopenkos „Ödstätten“ über Peter Henischs „Böhmischen Prater“ bis zu Michael Scharangs Überschwemmungsgebiet im Roman „Charly Traktor“. Gerade die „enteren Gründ“ haben Dichter fasziniert. Insgesamt wurden über 300 Objekte von mehr als 40 Autorinnen und Autoren für diese Ausstellung zusammengetragen. Sie machen die Literatur, die sich an der Stadt reibt oder sie beschreibt, sinnlich fassbar. Ein passendes Motto könnte von Wolf Haas stammen, der im Kapitel „Tatort“ nicht fehlen darf: „Der Tod ist groß, aber Wien ist auch groß.“

Ausstellung: Literaturmuseum, Johannesgasse 6, bis 16. Februar 2020, täglich (bis Ende Mai außer Montag) 10 bis 18 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2019)

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