Notre-Dame: Ein Brand vereint Frankreich

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Die Franzosen zeigen nach der Feuerkatastrophe Einigkeit. Erste Planungen für den Wiederaufbau werden getroffen. Präsident Macron will die Kathedrale bis 2024 wieder aufbauen.

Paris. Es ist ein Land, in dem zuletzt die Konfliktlinien in Gesellschaft und Politik nur allzu deutlich zutage getreten sind: die Spaltung zwischen links und rechts, die Wut der sogenannten Gelbwesten über die Regierung in Paris – und der Ärger vieler Bürger über die Ausschreitungen bei den jüngsten Demonstrationen dieser Protestbewegung. Doch nun, nach der Brandkatastrophe von Notre-Dame ist – zumindest vorläufig – Ruhe eingekehrt. Mehrere Parteien haben ihren EU-Wahlkampf vorübergehend gestoppt. Angesichts einer solchen Tragödie herrscht eine „union sacrée“ – ein „geheiligter Bund“ – von links bis rechts.

Ganz Frankreich steht unter dem Schock angesichts der Bilder, die sich am Montagabend geboten haben. Die Kathedrale von Notre-Dame, einem der wichtigsten Wahrzeichen von Paris, war in Flammen aufgegangen. Viele können es nicht fassen. Sie finden keine Worte, schütteln den Kopf, wiederholen Sätze, die sie seit dem Vorabend hören: „Notre-Dame ist ein Teil von uns“ oder „Diese Kathedrale ist ein Symbol unserer Nation, unserer Geschichte und unserer Kultur“.

„Es schmerzt mich zutiefst“

Am Dienstagmorgen pilgerten in einem ununterbrochenen Menschenstrom Tausende auf dem linken Seine-Ufer auf dem Quai Saint-Michel zur Brücke Pont des Petits cœurs, über die man normalerweise zur Pariser Kathedrale auf der Ile de la Cité gelangt. Jetzt aber ist für die Neugierigen der Durchgang von der Polizei gesperrt, nur Medienleute werden durchgelassen. Vor der Esplanade vor Notre-Dame, auf der noch schwarze Aschereste vom Großbrand in der Nacht liegen, berichten Dutzende Fernsehteams über das Unglück, das eine weltweite Betroffenheit ausgelöst hat.

"Die Presse"-Grafik

„Mich verbinden so viele persönliche Erinnerungen mit Notre-Dame. Sie in Flammen zu sehen schmerzt mich zutiefst“, erklärt Maria Magdalena aus Argentinien. Anne und Jimmy mit Sohn Gabriel, die in der Nähe von Reims wohnen, haben ein schlechtes Gewissen: Die drei wollten ursprünglich am Montagnachmittag Notre-Dame besuchen, hatten es aber auf Dienstag verschoben. Als sie dann auf dem Fernsehbildschirm den Großbrand sahen, habe sie „ein Gefühl großer Ohnmacht“ ergriffen. Für ein Ehepaar aus Mailand ist „Notre-Dame nach dem Petersdom in Rom die bedeutendste Kirche der Christen mit einer universellen Bedeutung“.

Die Frontfassade mit den beiden charakteristischen Türmen und der Rosette über den Heiligenstatuen sieht von vorn betrachtet nicht sehr viel anders aus als zuvor. In der Mitte aber fehlt etwas im bekannten Bild: Der mehr als 90 Meter Spitzturm La Flèche ist wie ein Teil des Dachs und des gesamten Gebälks ein Raub der Flammen geworden. Am Dienstagvormittag war der Brand nach offiziellen Angaben gelöscht.

Behörden befragen Arbeiter

Rund 50 Experten sind derzeit fieberhaft mit der Untersuchung der Brandstelle beschäftigt. Von Beginn weg erklärten die Behörden, dass das Feuer höchstwahrscheinlich auf die Bauarbeiten im Dachstock zurückzuführen sei. Dreißig Arbeiter von fünf Firmen, die in diesen Tagen mit der Renovierung beschäftigt waren, wurden befragt. Der Staatsanwalt von Paris, Rémy Heitz, teilte dazu mit, nichts lasse beim derzeitigen Stand der Ermittlungen auf eine mutwillige Brandstiftung schließen. Die Experten müssen auch untersuchen, wie stabil die Struktur der Kathedrale ist, die nach Behördenangaben wie die beiden Türme und die Fassade grundsätzlich verschont geblieben sind. Der Kirchenschatz und die wichtigsten Reliquien konnten zu Beginn des Brandes in Sicherheit gebracht werden.

Trotzdem ist der Schaden enorm und nicht einmal annähernd zu beziffern. Parallel zu privaten Initiativen - bis Dienstagabend standen bereits mehr als 750 Millionen Euro von Großkonzernen an Spenden bereit - hat Präsident Emmanuel Macron eine nationale und internationale Spendenkampagne gestartet: "Wir werden Notre-Dame noch schöner wiederaufbauen, und ich will, dass das in fünf Jahren abgeschlossen wird. Wir können das schaffen", sagte Macron am Dienstagabend in einer Fernsehansprache zur Hauptsendezeit.

Applaus für die Feuerwehr

Mehr als 400 Feuerwehrleute haben die ganze Nacht hindurch das Feuer bekämpft, um so viel wie nur möglich von der Kathedrale zu retten. Sie sind die Helden des Tages, ihnen ist es zu verdanken, dass die Zuschauer und Journalisten nicht nur einen Haufen Schutt und Asche betrachten, sondern eine Kathedrale, die weiterhin aufrecht steht. Sie mussten für ihre Löscharbeiten Flusswasser aus der Seine pumpen, um es unter Lebensgefahr von hohen Leitern und Hebebühnen auf den Brandherd zu spritzen. Ein Feuerwehrmann wurde schwer verletzt. Immer wieder, wenn ein Fahrzeug der Feuerwehr an der Zuschauermenge vorbeifährt, applaudieren die Leute spontan.

Am Ufer unweit von Saint-Michel gegenüber der Kathedrale hatten sich am Montagabend Gläubige zum Gebet eingefunden. Als der lichterloh brennende Spitzturm La Flèche zerbrach und dann in seinem Sturz den Dachstock mit in die Tiefe riss, ging ein Aufschrei durch die Menge. Nun geht Frankreich daran, alles wieder aufzubauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2019)

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