Der frühere Vizekanzler hat sein Buch „Haltung“ präsentiert, das er nicht als Abrechnung, sondern als „Klarstellung" verstanden haben will. Österreich entwickle sich von einer liberalen hin zu einer autoritären Demokratie.
Den Namen seines Nachfolgers Sebastian Kurz nahm der frühere ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner am Mittwoch kein einziges Mal in den Mund. An Attacken auf den Kanzler mangelte es bei der Präsentation seines Buches „Haltung“ dennoch nicht: Die ÖVP gehe „in Richtung ausgeliefert sein gegenüber einem, der an der Spitze steht“, sagte Mitterlehner etwa. Und: Dass der Kanzler nach der Übernahme der Partei erklärt habe, die vorige Regierung habe nur noch gestritten und die Umfragewerte der Partei seien im Keller gewesen, sei eine „perfide“ Darstellung. Vielmehr hätten Kurz und seine Mitstreiter den Streit in die Koalition getragen und die Machtübernahme bereits geplant, als sie ihn zum Parteiobmann wählten: „Da ist eine Energie verwendet worden, die in dem Umfang jeden russischen Revolutionär blass vor Neid werden lässt, weil da ist man nicht so planmäßig vorgegangen.“
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Als Abrechnung will Mitterlehner sein Buch dennoch nicht verstanden wissen, vielmehr als „Klarstellung“. Wenn er mit der neuen ÖVP-Führung hätte abrechnen wollen, dann früher, „dann hätte ich die Wahlen gestört“. Er sei nicht gekränkt und habe beim Schreiben keine Emotion mitschwingen lassen: „Es ist so gewesen.“ Das aus Parteiräson nicht zu beschreiben, komme für ihn nicht infrage: „Mein beinahe unerschöpfliches Potential an Parteiräson ist irgendwann auch ausgeschöpft.“
Kritik an „Ausreisezentren"
Die eigentliche Botschaft seines Buches sieht der frühere Vizekanzler aber nicht im Blick in die Vergangenheit, sondern in jenem in die Zukunft. Seine Warnung: Österreich entwickle sich von einer liberalen hin zu einer autoritären Demokratie. Die Kriterien für Rechtspopulismus, wie Verrohung der Sprache, Ausgrenzung, und Aufweichung der Gewaltentrennung seien derzeit erfüllt. Konkret kritisierte Mitterlehner unter anderem die Umbenennung der Flüchtlingserstaufnahmestellen in Ausreisezentren („bei mir hätte man da zurücktreten müssen“) und die Reverstaatlichung der Flüchtlingsberatung.
Mitterlehner hofft, dass in der ÖVP noch genügend Menschen „christlich-sozial“ denken und sich gegen solche Tendenzen wehren. Er selbst werde jedenfalls Parteimitglied bleiben und sich weiter kritisch einbringen. Gefragt, ob er eine Rückkehr in Politik ausschließe, meinte er: „Schau ma mal, aber jetzt habe ich keine Neigung dazu. Privatleben hat auch seine Vorteile.“
(kron)