Der Dialog zwischen Kunst und Leben

Mitten in der Donau liegt die Grenze, gegen die das Duo transparadiso bei seiner Intervention ruft.
Mitten in der Donau liegt die Grenze, gegen die das Duo transparadiso bei seiner Intervention ruft.(c) die Presse (Carolina Frank)
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Miteinander Singen, Spielen, laut Rufen und Erzählen für mehr soziale Wärme: Das Festival der Regionen setzt in Perg-Strudengau wieder ganz auf Partizipation. Eine Vorschau auf zwei Projekte.

Angrenzen. Abgrenzen. Grenzenlos.“ Künstlerin Barbara Holub lässt beim Donau-Seitenarm in Wien freie Assoziationen zum Thema Grenze fließen. Ruft diese in ein Papiermegafon, während Architekt Paul Rajakovics ein Miniaturstativ dazu hält. Beide, die Wörter und das Modell, gehören zu ihren Vorbereitungen für das „Festival der Regionen“. Als Künstlerduo transparadiso laden sie in dessen Rahmen zum „Ruf gegen die Grenze“ – die hier in Wien ja quasi vorbeifließt: Im selben Strom, aber zwischen Grein und dem rund dreihundert Meter fernen Ufer vis-à-vis trennt eine unsichtbare Linie Ober- von Niederösterreich. Dort werden sie zwei Megafone gegenüber platzieren, in natura wuchtige zwei Meter groß, und mit deren Schall einen Dialog über geografische, symbolische und persönliche Grenzen übertragen. Ein Stück, zu dem jeder beitragen kann: Der Partizipationsgedanke ist wesentlich.

Grenzübertritt

(c) die Presse (Carolina Frank)

„Soziale Wärme“ lautet das aktuelle Thema des alle zwei Jahre stattfindenden Festivals, das in Oberösterreich Regionen abseits städtischer Zentren bespielt: Diesen Sommer erkundet man die Region Perg-Strudengau mit Projekten im öffentlichen Raum. Schon im Vorfeld werken Künstler aus dem In- und Ausland vor Ort. Es geht jetzt darum, Ideen mit dem Motto zu verknüpfen, örtliche Spezifika mit größeren Themen zusammenzudenken – und um Kontakt zu Einwohnern. Bürgerbeteiligung bestimmt das Festivalprogramm seit jeher. Die Arbeit von transparadiso scheint da wunderbar zu passen: Seit zwanzig Jahren feilt das Duo transdisziplinär an künstlerischen Strategien und Interventionen zu Aspekten des guten Zusammenlebens, im urbanen und ruralen Raum, stets gesellschaftspolitisch und gern zusammen mit „Lokalexperten“. Kürzlich erhielten sie für ihren Ansatz den Staatspreis für Bildende Kunst. Mit ihrem Grenzprojekt ist es nun zum erstem Mal so weit, dass Holub und Rajakovics am Festival der Regionen auch teil­nehmen.

„Situationen schaffen und Fragen aufwerfen, diese an die Bevölkerung weitergeben und versuchen, zur Eigeninitiative anzuregen“, so würden sie normalerweise vorgehen, sagt Holub – die eigentlich Partizipationsskeptikerin sei: Beteiligung als „Allheilmittel“ ist ebenso wenig ihre Sache wie Verantwortung delegieren. Daher erlaubt man sich ein bisschen Führung, um die Performance in die gewünschte Richtung zu bringen. „Wir haben lang an der Kons­truktion gearbeitet“, erzählt Rajakovics mit dem Modellmegafon in der Hand, das in großer Ausführung schon 2018 in der Kulturhauptstadt Valetta im Einsatz war. „Bei Grein haben wir Standorte angeschaut, vor Ort recherchiert und mit vielen Leuten gesprochen.“ Einige Absurditäten, pikante und spannende Details über die spezifische Donaugrenze habe man da hervorgekehrt: Vom Kinderzeugen im Nachbarbundesland wegen verpasster Fährverbindungen, vom Leben als Fährmann. Von einer neuen Brücke, die trennt, statt zu verbinden.

Zu Workshops rief das Duo öffentlich auf, dann wurde mit vorbereiteten Materialien improvisiert. Einem Glossar und Textblättern etwa, auf denen die Grenze selbst spricht. Welcher Dialog letztlich entsteht, wer ihn mit Text oder Musik performt, bleibt lang offen: Man kann die Megafone für eigene Anliegen nutzen, so Holub. Wobei dem Duo das Thema der Grenze – verknüpft mit dem der sozialen Wärme – auch selbst ein Anliegen ist. „Die Frage von Ausgrenzung und Abgrenzung ist eine der wesentlichsten in unserer Gesellschaft“, findet Holub. „Mit dem Brexit und politischen Entwicklungen in Europa ist das Thema ganz aktuell und geht über den geografischen Kontext von Grein hinaus.“

Ganzheitlich

„Die Europäer glaubten seit so vielen Jahren, dass der Faschismus vorbei sei, aber das jüngste ,Flüchtlingspro­blem‘, der Euroskeptizismus, die Finanzkrise und mehr haben unsere Gesellschaften polarisiert und diesen Glauben, dass wir in freien und inklusiven Gesellschaften leben, völlig überschattet“, konstatiert Elli Papakonstantinou ähnlich. Die Bühnenregisseurin leitet den Kunstraum Vyrsodepseio und das ODC-Ensemble in Athen, ihre unkonventionellen, interdisziplinären und politischen Theaterproduktionen gastieren auf internationalen Bühnen. Im Juni kommt sie mit der Premiere eines Librettos in den Strudengau: „Die Gütigen“ bezieht sich auf Mauthausen – örtlich, da die Aufführungen vor den KZ-Mauern stattfinden, und über Texte, die Papakonstantinou verflechtet: Holocaust-Literatur von Iakovos Kambanellis und Jonathan Littell, Aischylos’ „Orestie“, buddhistische Mantren – ebenso wie aktuelles Material, das bei Proben und in Interviews mit Ansässigen entsteht. Auch sie arbeitet partizipativ.

Elli Papakonstantinous interdisziplinäre Bühnenstücke mobilisieren für Engagement.
Elli Papakonstantinous interdisziplinäre Bühnenstücke mobilisieren für Engagement. Alex Kat

„Ich habe die Gedenkstätte besucht und war schockiert“, so die Theatermacherin. „Was mich überrascht hat, war, dass das Lager in der Nähe des städtischen Alltagslebens erbaut wurde. Ich frage mich: Wie viel von diesem Ignorieren dessen, was um mich passiert, schwingt heute mit?“ Weniger um Vergangenes geht es ihr, vielmehr darum, die Augen für die Gegenwart zu schärfen: In Anbetracht einer kalten Unternehmenswelt und dem Anstieg von Rechtspopulismus an Mitgefühl zu erinnern. Ihr Stück stellt Fragen – große, kleine, philosophische, rhetorische. Neben Darstellern singt ein Chor älterer Männer der Umgebung: „Es ist mir wichtig, in einen Dialog mit der lokalen Gemeinschaft einzutreten“, erklärt sie. Ihre Inklusion zielt auch auf das Publikum: Sie will es auf unerwartete Weise einbeziehen – es wird gemeinsam gespeist, so viel sei verraten. Eine ganzheitliche Erfahrung soll es werden, das gelinge über Musik: „Sie trägt die Dramaturgie und verbindet die Fragen mit dem Alltag.“ Kunst und Leben vereinen, auch abseits von Institutionen Dialoge führen, soziale Erlebnisse schaffen: Papakonstantinous Intentionen passen gut zu jenen von transparadiso. „Ich glaube, dass Kunst über ganz unorthodoxe Methoden andere Fragen stellen und andere Werte zur Sprache bringen kann“, meint Holub: „Sodass man wieder lernt: Auch wenn man etwas noch so Kleines macht, es doch etwas bewirken kann.“

Festival der Regionen

Das oberösterreichische Festival für zeitgenössische Kunst setzt sich diesmal mit der Region Perg-Strudengau und einem politisch aktuellen Thema auseinander: 27 vornehmlich partizipative Projekte im öffentlichen Raum verhandeln „soziale Wärme“. 28. 6.–7. 7., www.fdr.at

("Die Presse-Kulturmagazin", 12.04.2019)

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