Eine Kirche wird für Macron zur Existenzfrage

Spuren der Zerstörung in Notre-Dame. Vor dem Wiederaufbau müssen die Restauratoren zunächst das Bestehende absichern.
Spuren der Zerstörung in Notre-Dame. Vor dem Wiederaufbau müssen die Restauratoren zunächst das Bestehende absichern.APA/AFP/-
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Der Präsident will Notre-Dame nach dem Brand innerhalb von fünf Jahren rekonstruieren lassen – und hat die Kathedrale zum Symbol für den Zusammenhalt der Nation erklärt. Experten gehen aber von zehn bis 15 Jahren Bauzeit aus.

Paris. Dass die Pariser Kathedrale Notre-Dame nach dem Brand am Montag in ihrem bisherigen Glanz wiederhergestellt werden soll, steht außer Frage. Paris ohne sein intaktes Wahrzeichen auf der Seine-Insel wäre schlicht nicht mehr Paris. Der französische Staatspräsident, Emmanuel Macron, versprach darum sofort, als das Feuer noch nicht einmal gelöscht war, dass Notre-Dame rekonstruiert werden soll. Etwas später äußerte er sich noch konkreter: „Wir werden die Kathedrale Notre-Dame noch schöner als bisher wiederaufbauen, und ich will, dass dies in fünf Jahren gemacht wird. Das können wir.“

Macron wenigstens glaubt daran, dass eine doch sehr kurz erscheinende Frist für die Restaurierung realistisch sei, denn die Franzosen, so meinte er stolz, seien ja ein „Volk von Erbauern“, das so viel Prächtiges geschaffen habe. Es geht ihm dabei nicht ausschließlich um den Wiederaufbau einer der bedeutendsten Kirchen der Welt und einer jährlich von 13 Millionen Menschen besuchten Touristenattraktion, sondern um den Zusammenhalt der Nation, den sie ohne Notre-Dame zu verlieren drohe. Die Restaurierung wird so für Macron zu einer Existenzfrage.

Dass er es mit der Reparatur so eilig hat, versteht sich darum von selbst; am liebsten würde er selbst Bauherr bei der Rekonstruktion sein. Der frühere Kulturminister, Jack Lang, der unter Präsident François Mitterrand für den Bau der Pyramide des Louvre zuständig war, drängte sogar zu einem schnellen Rhythmus, indem er meinte, drei Jahre müssten reichen. Das aber schließen die Fachleute fast kategorisch aus. Frédéric Letoffé, Chef der für die Restaurierung der historischen Monumente tätigen Unternehmen (GMH), sagte dazu: „Von drei oder vier Jahren zu reden ist schon deshalb unrealistisch, weil man vorher schon beginnen muss, das Bestehende abzusichern.“ Wie andere Experten hält er den Zeitraum von „zehn bis 15 Jahren“ für die Instandstellung von Notre-Dame für „vernünftig“.

„Regenschirm“ für die Kirche

Letoffé möchte nichts überstürzen. Zunächst komme die Diagnose, dann die Konsolidierung und erst danach der Wiederaufbau. Vorerst muss die Brandruine trocknen. Da samt dem historischen Dachstuhl die Decke über dem Kirchenschiff weitgehend eingestürzt ist, muss das Innere möglichst schnell mit einer Art „Regenschirm“ gegen die Witterung geschützt werden. Allein das ist bereits ein gigantisches Unterfangen. Unmöglich sei dies nicht, erklärt der Vorsitzende der französischen Bauunternehmen, Jacques Chanut, der überzeugt ist, dass in Frankreich das benötigte Know-how für die Restaurierung existiert. Selbst die historischen Techniken aus der Zeit der Gotik, die noch heute Bewunderung verdienen, sind nie in Vergessenheit geraten.

Dem Wunsch nach einer schnellen Rekonstruktion steht ein Mangel an qualifizierten Handwerkern gegenüber. Ersten Schätzungen zufolge braucht es 100 Steinmetze, 150 Zimmerleute und 200 Dachdecker. Und das sind Berufe, die in Frankreich mit Nachwuchsproblemen kämpfen, da sie kaum attraktiv erscheinen und die Betriebe zu wenige Lehrlinge ausbilden.

Darüber hinaus ist auch noch offen, in welcher Weise die Restaurierung erfolgen soll. Wird die neue Kirche identisch mit dem Zustand vor dem Brand sein – oder völlig innovativ mit neuen Elementen und modernen Techniken? Dazu ist laut dem Religionshistoriker Jean-François Colosimo noch gar nichts entschieden. Macron habe daher vorschnell reagiert, indem er von fünf Jahren sprach. „Wenn man einen Dachstuhl aus Eichenholz (wie beim zerstörten Original, Anm.) will, dauert das sehr viel länger als fünf Jahre. Wenn man dagegen ein Dach mit Stahl und Beton wählt, wie dies bei der Rekonstruktion der im Ersten Weltkrieg bombardierten und danach wiederaufgebauten Kathedrale von Reims gemacht wurde, geht das effektiv viel schneller.“

Staat müsste ganz bezahlen

Weniger Probleme dürfte dagegen die Finanzierung machen. Seit der Trennung von Kirche und Staat ist Notre-Dame, wie fast alle der vor 1905 erbauten katholischen Gotteshäuser, öffentliches Eigentum und wird den Diözesen und Gläubigen zur Verfügung gestellt. Je nach Fall ist der Staat oder die Kommune für den Unterhalt und die Restaurierung verantwortlich.

Dies gilt erst recht für die Monumente, die unter Denkmalschutz stehen und für die das Kulturministerium zuständig ist. Notre-Dame war aus diesem Grund auch nicht gegen Brandschäden versichert. An sich müsste also er Staat vollumfänglich für die Wiederherstellung aufkommen.

Wenn nun zahlreich Unternehmen und auch unzählige Einzelbürger spontan Spenden ankündigen, kann dies der Staatsführung nur recht sein. Die großzügigen Konzerne, die bereits zum Teil Beträge von 100 oder 200 Millionen Euro versprochen haben, sind indes nicht ganz so uneigennützig. Sie können ihre Spenden zu 60 Prozent von der Steuer absetzen. Falls Notre-Dame zum „trésor national“ erklärt wird, was wahrscheinlich ist, kann dieser Steuerrabatt sogar 90 Prozent betragen. Auch ihnen ist „Paris wohl eine Messe wert“, wie 1593 Heinrich IV. vor seiner Krönung zu seiner Konvertierung zum katholischen Glauben in Notre-Dame sagte.

AUF EINEN BLICK

Restaurierung. Für den Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame nach dem Brand muss der Staat aufkommen, jedoch haben zahlreiche Unternehmer und Privatpersonen großzügige Spenden angekündigt. So spielen am 2. Mai die Wiener Philharmoniker im Berliner Dom unter dem Motto „Zusammenstehen! Solidarität für Notre-Dame de Paris“.

Weitere Spender: www.diepresse.com/spender

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2019)

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