Schon als Elfjähriger spürte Christoph Schönborn den Wunsch in sich, Priester zu werden. In der Ordensgemeinschaft erlebte er jene Geborgenheit, die er zu Hause vermisste. Mit der „Presse am Sonntag" sprach der Kardinal über ein Leben ohne Familie, Einsamkeit, seine Erkrankung und seine „Neugier auf das da drüben".
Hinweis: Dieses Interview ist am 21. April 2019 erschienen.
Würden Sie sagen, dass Sie in Ihrem Elternhaus Geborgenheit erlebt haben?
Christoph Schönborn: Das würde ich gar nicht sagen. Meine Eltern haben im Krieg geheiratet und sich vor der Hochzeit effektiv nur drei Tage gekannt. Dann ist mein Vater desertiert und zu den Engländern übergelaufen. Er kam erst nach dem Krieg mit den Engländern nach Österreich zurück. Er war an Lungentuberkulose erkrankt und musste deshalb viel Zeit in der Schweiz verbringen. Die Ehe meiner Eltern war keine glückliche und sie haben sich schließlich 1958 getrennt. Da war ich 13 Jahre alt. Obendrein hatten wir die ersten sechs Jahre nach meiner Geburt keine eigene Bleibe, sondern waren ständig irgendwo einquartiert, bei Bekannten und Verwandten. Also eine typische Flüchtlingsfamilie, die immer nur im Gaststatus war. Geborgenheit war das wirklich nicht. Dennoch habe ich keine schlechten Erinnerungen an diese Zeit.
Hat Ihre Mutter Sie manchmal in den Arm genommen?
Das war in dieser Generation nicht üblich, sagt meine heute 99-jährige Mutter. Sie wirft sich das auch vor und bedauert es. Unser Verhältnis war nicht gefühlsbetont, aber herzlich.