Pasta Grannies: Vergessene Nudel-Traditionen für Youtube

Im Herbst wird ein Pasta-Grannies-Buch auf Englisch erscheinen.
Im Herbst wird ein Pasta-Grannies-Buch auf Englisch erscheinen. Pasta Grannies
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Zusammengerechnet sind es Jahrhunderte an Erfahrung in der Nudelherstellung, die das Projekt „Pasta Grannies“ festhält. Über geblümte Hauskleider, Ohrringe aus Teig und Altersrekorde.

Man würde den runzligen zarten Händen gar nicht so viel Kraft zutrauen, wie sie dann tatsächlich auf den Nudelteig auszuüben vermögen: Cesaria – weit über 90, komplett in Schwarz gehüllt (inklusive Kopftuch), ein fast zahnloses Lächeln im Gesicht – macht lorighittas für das YouTube-Publikum. Lorighittas sind eine fast vergessene ringförmige Pastaform aus gezwirbelten Teigsträngen, das sardische Dialektwort bedeutet Ohrring. (Hier finden Sie ein Rezept) Diese Nudelart aus dem sardischen Dorf Morgongiori am Fuße des Monte Arci ist eines von vielen traditionellen Rezepten, die derzeit durch das Projekt „Pasta Grannies“ ungeahnte Aufmerksamkeit erfahren.

Die britische Journalistin Vicky Bennison hat Pasta Grannies vor fünf Jahren gestartet, zunächst als YouTube-Kanal, bald darauf auch als Instagram-Account, beide zählen mehrere hunderttausend Followers. Im Zuge einer Buchrecherche über die italienischen Küchen sei ihr aufgefallen, wie viel Wissen in diesem Kontext schon verlorengegangen ist und bald noch verlorengehen wird. Küchenhandwerk wie das Pastamachen werde heute nicht mehr von einer Generation an die nächste weitergegeben, das Pastamachen sei weitgehend an Fabriken ausgelagert, sagt Bennison.

Ausrollen, wuzeln, falten. Pasta Grannies ist das erfolgreiche Gegenmittel, das mittels Internet die tradierten Techniken italienischer nonne bis auf weiteres konserviert (und stets auch Einblicke in deren Haushalte und Modevorlieben wie geblümte Hauskleider gibt). Im Oktober soll das Projekt dann in Buchform in Erscheinung treten, zunächst auf Englisch (bei Hardie Grant). In zahlreichen kurzen Videos, die Vicky Bennison in ganz Italien gedreht hat, kann man Frauen (die nicht selten schon Urgroßmütter sind) dabei beobachten, wie sie Teig kneten, ihn ausrollen, wuzeln, falten. Teilweise in einer Geschwindigkeit, die jahrzehntelange Erfahrung offenbart, und meist mit einer ordentlichen Portion Stolz zwischen den Gesichtsfalten. „Über 200 Frauen habe ich bereits gefilmt“, erzählt Vicky Bennison dem „Schaufenster“ (sie alle werden meist nur beim Vornamen genannt – Riposa, Alba, Rachele, Ines...).

„Letztens erst haben wir die 101-jährige Letizia in Salemi, Sizilien, besucht, die für uns Tagliatelle mit wildem Fenchel und Saubohnenpüree gemacht hat.“ Sie hat den Titel der ältesten „Pasta Granny“ von der 96-jährigen Giuseppa aus Ozieri in Sardinien übernommen, die bei der Herstellung von macarrones de unghia gefilmt wurde, einer kleinen, knolligen Version von malloreddus, einer sardischen Pastaspezialität. Über 80 Jahre Erfahrung in der Nudelherstellung hat Giuseppa, eine kleine Dame mit weißem kurzen Pferdeschwanz – ein paar wellige Strähnen zusätzlich mit Klammern zurückgehalten – und rosa eingefasster Schürze. „Was soll ich noch sagen?“, fragt sie amüsiert in die Kamera, nachdem sie ihre Nudelart preisgegeben hat. „Den Namen.“ „Den Namen? Giuseppa. Giuseppa Porcu. Soll ich jetzt anfangen?“ Zum Teigkneten, zum besseren Druckausüben, muss sich Signora Porcu in ihren Hausschlapfen auf einen gelben Hocker stellen – „ich bin zu klein“.

Danach, wieder heruntergestiegen, reißt sie kleine Teigstücke von einer Rolle ab, wälzt diese über ein gelochtes Blech und versieht sie so mit einer Tupfenprägung. Die Zahl der Nudelnamen hat Vicky Bennison nicht gezählt. „Es gibt zwar eine begrenzte Anzahl an Formen, die man per Hand anfertigen kann, aber es gibt sehr viele verschiedene Namen dafür. Manchmal tragen aber auch verschiedene Pastaformen den gleichen Namen.“ Cappelletti in brodo etwa seien in den Marken mit Fleisch gefüllt, anders als in der Emilia Romagna, wo sie Käse enthalten.

Kostbares Wissen. Bei der Recherche, welche alte Dame in welchem entlegenen Dorf welche Pastaform zu fertigen weiß, wird Vicky Bennison von Livia de Giovanni unterstützt, die gleichsam als „Granny-Scout“ fungiert. „Es ist wichtig, jemand Einheimischen zu haben, der mich vorstellt.“ Manche Frauen müssen erst überredet werden, viele werden von Enkelinnen oder Bekannten vorgeschlagen. Alle sechs bis acht Wochen ist Bennison auf Reisen, zwei bis drei „Pasta Grannies“ werden dann pro Tag besucht und gefilmt. „Ich habe leider nicht das Budget, um über jede Frau eine eigene TV-Dokufolge zu drehen“, sagt sie – auch wenn das möglich und gerechtfertigt wäre. Schließlich sieht sie den alten Damen nicht nur beim Pastamachen über die Schulter, sondern begleitet sie etwa auch in ihre Küchengärten, wo Paprika und Paradeiser für das Sugo wachsen. Der britischen Journalistin ist bewusst, dass das Wissen der nonne über selten gewordene Pastasorten kostbar ist. „Wir stellen ihnen also dazu viele Fragen. Und alle Geschichten, die sie uns darüber hinaus erzählen, werden Teil des Buches.“

>> Hier geht's zum Youtube-Kanal der Pasta Grannies

www.pastagrannies.com

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