Israel: Ein Katzensprung in eine andere Welt

Grabeskirche in der Altstadt von Jerusalem
Grabeskirche in der Altstadt von JerusalemAPA/AFP
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Bei den heiligen Stätten Jerusalems ist jeder Quadratmeter religiös und politisch aufgeladen. Und nur eine Stunde entfernt in Tel Aviv zelebrieren Bewohner und Touristen das bunte und weltliche Leben.

Die Nähe der Gegensätze ist, was bei einer Israel-Reise zuallererst fasziniert – und verwirrt. Das Land ist nur wenig größer als Niederösterreich, Strand und Wüste, Hightech und Religionsgeschichte, Party und ewiger Konflikt, Tel Aviv und Jerusalem liegen eng beieinander. In einer guten Stunde kommt man von der lockeren, jungen City in die „ewige Stadt“, wo Religion, Politik und Geschichte eine dichte Atmosphäre erzeugen. Und mancher wohnt in der einen, arbeitet in der anderen. Schon Jerusalem ist ein eigener Kosmos: In den engen Gassen der Altstadt wuseln kleine Buben im palästinensischen Grün über das Steinpflaster, bewaffnet mit Kaugummipistolen. Gläubige in Mönchskutten, Menschen in arabischen Gewändern oder in armenischer Tracht eilen aneinander vorbei. Die ultraorthodoxen Juden blicken stoisch geradeaus, sie scheinen niemanden zu sehen und sind doch selbst so sichtbar, so exponiert mit ihren Schläfenlocken und auffälligen Hüten.

Im Gewirr der Straßen, die durch Horden von Touristen verstopft werden, haben vor allem Araber ihre Stände aufgebaut. Sie verkaufen Teppiche und Granatapfelsaft, Kippas und Kreuze, Hemden mit Free-Palestine-Forderungen. Sogar Dornenkränze kann man erstehen. Manchmal schleppt ein philippinischer Katholik ein großes Holzkreuz durch die Via Dolorosa. Gern würde man sich setzen und das Treiben beobachten. Aber es ist kein Platz in diesen Gassen, man wird mit dem Strom mitgezogen. Jeder Quadratmeter scheint durch die historischen und aktuellen Konflikte aufgeladen, das potenziert sich an den heiligen Orten. Dort hört man Menschen bitten, hoffen, trauern, beten.

Jerusalem: Blick auf den Tempelberg mit dem berühmten Felsendom.
Jerusalem: Blick auf den Tempelberg mit dem berühmten Felsendom.APA/AFP (Thomas Coex)

Aber zuerst einmal das kalte Fiepen der Metalldetektoren. Etwa bei der Klagemauer, wo die Emotionen der Menschen, die sich gegen die mächtigen Steinblöcke lehnen, in kleine Zettel fließen. Sie werden in den Meleke-Kalkstein gesteckt, allgegenwärtig in Jerusalem. Seit der Zeit von König Herodes wird er als Baumaterial verwendet und bestimmt bis heute das Stadtbild. Wie viel Blut floss wohl auf ihn? Schon in der britischen Mandatszeit erging die Order, Meleke für alle Neubauten zu verwenden; noch heute ist Kalkstein Vorschrift. Auch die Grabeskirche ist ein Ort, dessen Wirkung man sich nicht entziehen kann. Hinter der schweren hölzernen Eingangstür gehen Gläubige auf den Boden, 2000 Jahre an Trauer haben sich festgesetzt. Und doch beobachtet man live den Machtkampf der Konfessionen, deren Vertreter hier Rituale ausführen oder Kerzen anzünden dürfen – was manchmal in ein Gerangel ausartet.

Schnittpunkt der Religionen

Für Muslime wiederum ist der Tempelberg mit Felsendom einer der heiligsten Orte, Mohammed soll dort in den Himmel aufgestiegen sein. Daneben die al-Aksa-Moschee, das drittwichtigste Gotteshaus im Islam. Im Lauf der Jahrhunderte wechselte die Herrschaft über den Tempelberg öfter, er ist die politisch am stärksten aufgeladene Stätte Jerusalems. Und nicht immer für Touristen zugänglich. Ruhiger ist es dort, wo laut Überlieferung das letzte Abendmahl stattgefunden hat. Doch wieder ein Konflikt: Der Ort ist auch den Juden heilig. Der Abendmahlsaal befindet sich in einem mittelalterlichen Gebäude, im Untergeschoß soll das Grab König Davids sein. Die drei jungen Männer, die in der Innenstadt Segways vermieten, wollen den Streit der Religionen hintanstellen. Einer von ihnen ist orthodoxer Jude, der andere säkularer, der dritte Palästinenser (oder Araber, wie man hier sagt). Sie glauben daran, dass die Jerusalemer ihre Konflikte lösen können.

Tel Aviv, Blick auf den 14 Kilometer langen Strand und seine Partyszene.
Tel Aviv, Blick auf den 14 Kilometer langen Strand und seine Partyszene.Reuters (Nir Elias)

Kommt man abends nach Tel Aviv, fühlt man sich wie in einer anderen Welt, die Stadt ist bunt und individuell. Am 14 Kilometer langen Strand überwachen Bademeister das Treiben. Das Mittelmeer hat oft noch bis November Badewannentemperatur. Erst 1909 gegründet, ist die Stadt lebendig und ein wenig unordentlich, auch an vielen der berühmten Bauhaus-Objekte bröckelt der Putz. Klare, kubische Formen, flache Dächer, weiß verputzte Fassaden: Rund 4000 Häuser wurden in Tel Aviv im Bauhaus-Stil gebaut, so viele wie nirgendwo sonst (Tipp: geführte Touren des Bauhaus-Centers). Davon stehen rund 1600 unter Denkmalschutz, sehr strenge Bestimmungen gelten aber nur für rund 200. Der Rothschild-Boulevard etwa ist voll von den weißen Häusern, manche liebevoll renoviert. Man muss aber nicht weit spazieren und sieht seltsame Um- und Aufbauten oder sehr Renovierungsbedürftiges. Die Tel Aviver argumentieren, dass die Mieten in der Stadt ohnehin explodiert sind.

Durch die Stadt zu flanieren macht fröhlich, bunte Obststände, Lokale und Geschäfte wechseln sich ab. Es gibt hier keine internationalen Ketten, dafür zahllose kleine Shops mit ausgefallener Kleidung oder Interieur: Man zelebriert den Individualismus. Hier kann man sündigen und detoxen – immerhin achten die Menschen penibel auf ihre Körper. Soldaten sind fast unsichtbar, Sicherheitsmaßnahmen spürt man kaum. Die Geschäfte blinken, eine warme Brise trägt Musik weiter. Berühmt ist die Stadt für ihre Gastronomie, viele Einwanderer haben ihre Küchentraditionen mitgebracht und oft verfeinert, man kann – bei hohen Preisen – herrlich essen. Dieses Tel Aviv ist es auch, das Israel bewerben möchte und für das es viel Geld in die Hand nimmt. Tatsächlich feiert man Besucherrekorde: 2018 kamen 4,12 Mio. internationale Touristen nach Israel, ein Plus von 42 Prozent seit 2016.

Und wo sind die Palästinenser? In den Straßen erkennt man wenige, viele arbeiten als Hilfskräfte. Selbst in der muslimisch geprägten, hübschen Hafenstadt Jaffa, die seit der Antike besteht und bis zu der sich Tel Aviv mittlerweile erstreckt, ist vieles in jüdischer Hand. Den 50 Kilometer fernen Gazastreifen kann man in Tel Aviv schnell vergessen – isst, trinkt, feiert, lebt im Hier und Jetzt.

Infos

Am besten bereist man Israel im Frühling oder Herbst, im Meer baden kann man bis in den November. Es gibt es keine U-Bahn, der öffentliche Verkehr funktioniert vor allem über Busse.

Beachten sollte man den Sabbat: Busse und Züge stellen am Freitagnachmittag ihren Betrieb ein und fahren erst wieder am Samstag, wenn es dunkel ist. Am Freitagabend schließen auch die Geschäfte früher, am Sabbat bleiben sie geschlossen. In Tel Aviv wird der Ruhetag weniger streng gehandhabt als in Jerusalem, viele Lokale sind geöffnet.

Complience-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung des israelischen Tourismusministeriums.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2019)

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