Wind des Wandels: In der Ukraine greift ein Komiker nach der Macht

Selenskij ist ein Wagnis – und die ukrainischen Wähler wissen das.
Selenskij ist ein Wagnis – und die ukrainischen Wähler wissen das. APA/AFP/GENYA SAVILOV
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Wolodymyr Selenskij dürfte am Sonntag zum neuen Präsidenten gewählt werden. Hoffentlich vergeht den Ukrainern nicht schon bald das Lachen.

Der Wind des Wandels weht durch die große osteuropäische Ebene. Und nach dem Stand der Dinge wird dieser Wind am Sonntag den 41-jährigen Komiker Wolodymyr Selenskij ins Präsidentenamt in Kiew wehen. Er symbolisiert die fast schon verzweifelte Sehnsucht der ukrainischen Bevölkerung nach Veränderung, die alle berechtigten Zweifel an seinem politischen Geschick beseitefegt.

Selenskij ist ein Wagnis – und die ukrainischen Wähler wissen das. Aber nur neun Prozent von ihnen haben nach einer Gallup-Umfrage vom März noch Vertrauen in ihre Regierung, es ist der niedrigste Wert weltweit. Also sagen sie sich wohl: Schlechter als bisher können wir nicht regiert werden, selbst mit einem Komiker als Präsident kann es nur besser werden.

Dabei ist es gewiss nicht so, dass unter dem bisherigen Präsidenten, Petro Poroschenko, alles nur schlecht war: Er hat die Ukraine auf konsequentem Westkurs gehalten und dafür gesorgt, dass westliche Finanzhilfe ins Land geflossen ist und die Visapflicht mit europäischen Ländern abgeschafft wurde. Er hat auch der vor fünf Jahren noch darniederliegenden Armee wieder ein Rückgrat verpasst und entscheidend dazu beigetragen, dass die Ukraine jetzt eine vom Moskauer Patriarchat unabhängige nationale orthodoxe Kirche hat. Die ukrainische Identität ist heute sicher ausgeprägter und gefestigter als vor Poroschenkos Präsidentschaft, die tiefen kulturellen, sprachlichen und religiösen Spaltungen und Risse durch das Land sind kleiner geworden.

Aber es ist ihm nicht gelungen, die 2014 von Russland annektierte Krim wieder in die Ukraine zurückzuholen und den blutigen Konflikt mit zwei abtrünnigen Regionen in der Ostukraine, der in den vergangenen fünf Jahren zwischen 13.000 und 16.000 Todesopfer gefordert hat, zu beenden. Vor allem aber hat sich der Lebensstandard der Mehrheit der Menschen nicht wirklich gebessert, Hunderttausende haben deshalb eine Beschäftigung im Ausland gesucht. Gleichzeitig neigen die Reichen und Schönen der Ukraine genauso wie jene in Russland dazu, mit ihrem Reichtum zu protzen. Aber das steigert nur den Ärger der einfachen Leute, zumal sie genau wissen, dass der Wohlstand der Neureichen in vielen Fällen nur durch Hinterlist, Korruption und Vetternwirtschaft zustande gekommen ist.

Solcher Ärger mündet schließlich in schroffe Ablehnung der tonangebenden Elite. Zwei Mal schon – 2004 und 2013/14 – kulminierte in der Ukraine die Unzufriedenheit mit den Mächtigen in Aufständen; zwei Mal schon hat die Rebellion zwar zu einem Wechsel an der Spitze der Machtpyramide geführt, nicht aber zum größeren Austausch der Elite.

Poroschenko, selbst ein Oligarch, gilt der Mehrheit seiner Landsleute als typischer Vertreter einer Elite, die sich zwar um ihr eigenes gutes Auskommen, nicht aber um das Wohl und Wehe des Landes sorgt. Poroschenko steht für Hoffnungslosigkeit und Weiterwursteln, wenn er im Wahlkampf auch alle möglichen Reformversprechen gemacht hat. Selenskij aber verkörpert Zukunftsglauben und Neuansätze, wenn er im Wahlkampf auch noch nicht viel über Detailliertes seiner Pläne als einmal gewählter Präsident verraten hat.


Mit Selenskij, falls er gewählt wird, kaufen die Ukrainer also die Katze im Sack. Gut, er hat um sich einen Beraterstab mit politisch erfahrenen Fachleuten zusammengestellt – nur weiß man nicht, ob er auch auf diese Experten hört oder ob er doch eher dem Rat seiner Einsager aus der Unterhaltungsbranche folgen wird. Poroschenko hatte schon recht, als er darauf hinwies, dass es da ein politisch unerfahrener Komiker mit einem mit allen (Geheimdienst-)Wassern gewaschenen, ausgefuchsten russischen Präsidenten zu tun haben wird. Freilich hat auch er selbst in den vergangenen vier Jahren im Umgang mit Russland nichts weitergebracht.

Nach vielen eigenartigen Wählervoten aus Frustration mit den Eliten in aller Welt – von den USA bis zu den Philippinen, von Italien bis Brasilien – darf in der Ukraine also bald ein Komiker ans Ruder. Man kann dem großen Land nur wünschen, dass seinen Menschen nicht bald das Lachen vergehen wird.

E-Mails an:burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2019)

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