La Réunion: Die Subtropen für Einsteiger

Der Piton de la Fournaise ist ein aktiver Vulkan – wenn er nicht gesperrt ist, kann man ihn leicht erwandern.
Der Piton de la Fournaise ist ein aktiver Vulkan – wenn er nicht gesperrt ist, kann man ihn leicht erwandern.Getty Images/Michael Fischer
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Die französische Insel liegt im Indischen Ozean, sie bietet spektakuläre Wanderstrecken durch eine Vulkanlandschaft, eine bunte Unterwasserwelt – und EU-Sicherheitsstandards.

Ein Helikopterflug also. Ich habe ja einige subtropische Inseln bereist, aber in einen Helikopter zu steigen? Wäre mir nie in den Sinn gekommen. Da waren Busfahrten abenteuerlich genug, die mitten auf der abschüssigen Strecke unvermittelt zu Ende waren, weil dem Chauffeur gerade rechtzeitig noch aufgefallen war, dass die Bremsen nicht richtig funktionierten – und wenn man ein Taxi nahm, machten drinnen bunte Schilder darauf aufmerksam, dass das Schicksal des Menschen nun einmal in Gottes Hand liege. Sehr vertrauenserweckend.

Ein Pilot mit Siegelring

Auf La Réunion bucht man dagegen ohne mit der Wimper zu zucken einen Rundflug der Firma Heligon – mit spektakulären Einblicken auf die dicht bewachsenen Hänge, auf die eins, zwei, drei Talkessel, die der Vulkan Piton de Neiges formte, auf die abgeschiedenen Weiler, die per Auto nur mühevoll oder gar nicht zu erreichen sind. Die Organisation ist tadellos, der Pilot trägt blütenweißes Hemd und Siegelring, die Armaturen blitzen in der Sonne. Streng wird darauf geachtet, dass die Passagiere keine Taschen oder Rucksäcke auf den Flug mitnehmen. Sicherheitsgründe. Wir sind schließlich in der EU.

La Réunion – das sind die Subtropen für Einsteiger. Ein Land, in dem die reifen Mangos und Litschis über die Gartenmauern hängen – das aber zu Frankreich gehört und dessen Infrastruktur mit EU-Mitteln gefördert wird, was man ihr auch anmerkt. Wo Dschungel locken, die man auf gut ausgeschilderten Wanderrouten erkunden kann und im Wissen, dass die Insel frei ist von giftigen Spinnen oder Schlangen. Wo es mit dem Piton de la Fournaise zwar einen hoch aktiven Vulkan gibt – der jedoch nach allen Regeln modernster seismografischer Kunst engmaschig kontrolliert wird. Wo der Primärwald streng geschützt ist, sogar die Anzahl der erlaubten Kühe auf der Insel ist limitiert, weil ihre Hufe die Erosion begünstigen und der Vegetation schaden können.

Hier wird nichts dem Zufall überlassen: Am Rand der Straße, die zum Vulkan führt, an grandiosen Schluchten entlang und durch eine abenteuerliche Mondlandschaft, findet man immer wieder Holzgeländer. Sie sollen allzu abenteuerlustige Instagramer davon abhalten, beim Fotografieren des Kraters oder des Primärwalds auf den Berghängen in die Tiefe zu stürzen.

Weißer Sand, schwarzer Fels

Ja, man fühlt sich wohlbehütet hier. Da will sich nicht einmal so recht die Angst vor Haien einstellen, obwohl Todesfälle von Surfern in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt haben. Wo das Baden gefährlich ist, wird man durch Schilder gewarnt. Am Plage de la Grande Anse etwa. Was einen allerdings nicht davon abhalten sollte, die Bucht im Süden zu besuchen. Schwarze Lava, weißer Sand, üppiges Grün – der Anblick ist berückend. Der fürsorgliche Vater Staat hat hier sanitäre Anlagen errichtet und gemauerte Grillstellen, gerade eben wird der Parkplatz umgebaut. Schatten spendende Palmen und gepflegter Rasen warten auf die am Wochenende zahlreichen Gäste, die hier picknicken. An einem Ende der Bucht wurde mit großen Steinen ein Becken abgetrennt, in dem man gefahrlos planschen kann.

Am anderen Ende kann man sehen, dass die Warnungen vor Haien und der reißenden Strömung nicht übertrieben sind: An die spektakulären schwarzen Felsen haben Angehörige Täfelchen montiert, die an die hier umgekommenen geliebten Söhne, Brüder, Väter erinnern. Es sind einige. Manche hat das Meer nicht wieder hergegeben. Ein paar Surfern ist das dennoch nicht Warnung genug.

Wer sichergehen möchte, der lässt den pittoresken Süden am besten hinter sich. Im Westen beschützt nämlich ein Riff Strand und Schwimmer. Und was für ein Riff! Schon zwei Meter vom Ufer entfernt, im gerade knietiefen Wasser, leuchten die ersten Korallen grün, blau und rosa – umschwärmt von gelb gestreiften Wimpelfischen, gruselig wirkenden Schwarzflecken-Kugelfischen und farbenfrohen Borstenzähnern. Oder von Drückerfischen, die den Beinamen „Picasso“ haben und so aussehen, als hätte sie ein Typ auf Ecstasy für eine Techno-Party designt. Die Wasserwelt ist vielleicht nicht so atemberaubend wie etwa in der Karibik. Aber kinderleicht zugänglich. In L'Ermitage-Les-Bains werden kostenlose Schnorcheltouren angeboten – da wird man sicher durch die labyrinthartigen Korallenwälder geleitet und lernt noch etwas dazu.

Stolz auf den Vielvölkermix

Zu lernen gibt es auf Reunion ohnehin einiges – die Insel hat geologisch und soziologisch eine bewegte Geschichte hinter sich. Eigentlich gab es nämlich keine Insel, die wurde erst vom mittlerweile erloschenen Piton de Neiges erschaffen. Und es gab auch keine Réunionesen: Als der portugiesische Seefahrer Diego Fernandes Pereira die Insel entdeckte, war sie unbewohnt. Und das blieb auch so, bis Franzosen sie 1642 in Besitz nahmen. Eine Handvoll Männer ließ sich damals hier nieder. Um die Insel zu bevölkern, wurden französische Frauen eingeschifft – weibliche Häftlinge, die sich auf diese Weise eine harte Strafe ersparten. Doch die Fahrt dauerte lang, und sie war gefährlich, die meisten der Frauen kamen dabei um. Die ersten Kinder der Insel zeugten die Franzosen denn auch mit Dienerinnen aus dem benachbarten Madagaskar.

Es war der erste Schritt zum Vielvölkermix der Insel: Hier finden sich Nachfahren der schwarzen Sklaven, der indischen Vertragsangestellten, der chinesischen Händler und natürlich der Franzosen. Man ist stolz darauf, dass die Gruppen auch später nicht streng unter sich blieben. Es gibt dafür sogar ein eigenes Wort: Métissage. Bunt zusammengewürfelte Familien sind hier die Regel, nicht die bestaunte Ausnahme.

Gegessen wird Cari

Die Kulturen haben sich hier vermischt – das sieht man auf der Straße, das hört man, wenn Kreolisch gesprochen wird. Und das schmeckt man: Die Küche der Insel verarbeitet indische, afrikanische und französische Einflüsse, das traditionelle Nationalgericht heißt Cari, was von „Curry“ kommt. Es besteht aus (ursprünglich sehr wenig) Fleisch und Fisch, einer Sauce aus Kurkuma, Safran, Zwiebeln, Knoblauch et cetera – und vor allem einer Menge Reis und Bohnen.

La Réunion war lange Zeit eine bitterarme Insel. Gleich zweimal brach das Wirtschaftssystem komplett zusammen. Einmal vernichtete ein Taifun fast sämtliche Kaffeeplantagen. Als dann später auf das unempfindlichere Zuckerrohr umgestellt wurde, war das auch keine Dauerlösung. Die eine Monokultur fiel der Natur zum Opfer, die andere dem technologischen Fortschritt: Neu entwickelte Maschinen erlaubten es europäischen Ländern, aus der dort heimischen Zuckerrübe Zucker zu gewinnen. Der Preis brach ein. Rund um das Jahr 1860 verarmten die Farmer, etliche Großgrundbesitzer sahen keine Zukunft mehr auf der Insel, nahmen den Rest ihres Vermögens und wanderten aus. Manche machten sie sich nicht einmal die Mühe, ihre Grundstücke zu verkaufen.

Von dieser Wirtschaftskrise erholte sich die Insel lang nicht. Erst in den 1960er- und 70er-Jahren besann sich das Mutterland seiner südlichsten Dépendance und begann, in Infrastruktur, in das Bildungs- und Gesundheitssystem zu investieren. Mit Erfolg.

Später Aufschwung

Den Menschen auf Réunion geht es mittlerweile weit besser als ihren Nachbarn auf Madagaskar und Mauritius, der Lebensstandard der Bevölkerung und das Lohnniveau sind deutlich höher – wenn auch deutlich niedriger als im Mutterland Frankreich. Was Hoffnung macht: Die wichtigsten Gebäude in den Orten sind für alle sichtbar die Schulen.

Die Folgen des sehr langen wirtschaftlichen Niedergangs und des sehr späten Aufschwungs zeigen sich heute vor allem architektonisch: In den größeren Städten dominieren Bauten aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, vom ursprünglichen Kolonialstil ist sehr wenig erhalten. Am ehesten kann man in Saint-Denis noch ein paar hübsche Straßenzüge finden. Und auch die Dörfer zeigen sich eher reizlos. Um durch die Straßen zu flanieren und afrikanisches Flair zu genießen, ist La Réunion der falsche Ort. Und neuere Projekte, wie die neue Küstenstraße, fügen sich auch nicht gerade in die Landschaft ein.

Das wissen offenbar auch die Réunionesen – und setzen auf ihre Naturschätze, die sie beschützen, bewahren und ins rechte Licht rücken. Es gibt schließlich nicht so viele Orte auf dieser Welt, wo man vormittags einen Vulkan erkunden, mittags durch den Primärwald wandern und am Nachmittag durch Korallenriffe schnorcheln kann.

TIPPS

Übernachten. Erst letzten Dezember aufgemacht hat das Hotel Ness in Saline-de-Bains, nur mit einem Holzzaun vom Strand getrennt. Die Zimmer sind in schlichtem Chic gehalten, von den Liegen im Garten kann man den Sonnenuntergang bewundern.

Essen und schwimmen. Ebenfalls direkt am Sandstrand: Das Restaurant L'Uni Vert in Saint-Paul mit hervorragender lokaler wie internationaler Küche. Sehr entspannte Atmosphäre, gute Cocktails.

Compliance-Hinweis: Diese Reise wurde vom Tourismusausschuss der Insel La Réunion finanziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2019)

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