Mit dem Gebirge kommunizieren

In Österreich sind derzeit etwa der Koralmtunnel der ÖBB und die zweite Tunnelröhre im Bosrucktunnel der Pyhrn-Autobahn im Bau.
In Österreich sind derzeit etwa der Koralmtunnel der ÖBB und die zweite Tunnelröhre im Bosrucktunnel der Pyhrn-Autobahn im Bau. APA
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Das österreichische Baukonzept muss trotz internationaler Anerkennung ständig neu adaptiert werden. Nun spielt auch die Risikoanalyse eine Rolle.

Ein Schlussstrich unter den Forschungen zur Neuen Österreichischen Tunnelbaumethode – international mit dem Kürzel NATM (New Austrian Tunneling Method) versehen – ist nicht in Sicht. „Es ist viel im Unterbau dazugekommen, mit der Digitalisierung, der speziellen Methodik und im Monitoring“, sagt Thomas Marcher, Leiter des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau der Technischen Universität Graz. Gemeinsam mit Robert Galler, Geotechniker der Montanuniversität Leoben, wird jetzt der erneuerte Universitätslehrgang „NATM Engineering“ ausgeschrieben. Galler wurde auch in dem von der „Presse“ ausgeschriebenen Bewerb als „Österreicher des Jahres 2016“ in der Kategorie Forschung ausgezeichnet.

Im österreichischen Tunnelbau wurde in den 1950er-Jahren ein völlig neues Konzept für Tunnelbauten entwickelt. Dabei wird der umgebende Gebirgsteil mit in das Baugeschehen eingebunden. „Im österreichischen Tunnelbau werden ganz bewusst Verformungen im Gebirge zugelassen“, sagt Thomas Marcher. Dadurch werde die Tragwirkung des Gebirges aktiviert. Der tägliche Tunnelvortrieb wird nicht mehr mit Holz abgestützt, sondern gleich mit Spritzbeton ausgegossen bzw. gesichert. Auch der früher übliche Einbau von vorgefertigten Betonelementen entfällt.

NATM weltweit anerkannt

Weltweit wird rund die Hälfte aller Tunnelbauten nach der NATM errichtet. In Österreich sind derzeit etwa der Koralmtunnel der ÖBB und die zweite Tunnelröhre im Bosrucktunnel der Pyhrn-Autobahn im Bau. Pro Tag beläuft sich der Vortrieb je nach dem Gestein von einigen wenigen bis zu 15 Metern. Bei den vor Kurzem gestarteten Baulosen für die Wiener U-Bahn-Linie 5 wird allerdings ein gemischtes Verfahren praktiziert. „Weil die Oberflächensetzungen eine Rolle spielen“, sagt Marcher, also die darüber befindlichen Wohnhäuser oder stark befahrenen Verkehrsflächen. Wobei NATM bereits bei den U-Bahnen in São Paulo, Washington und Seoul praktiziert wurde.

In der neu hinzugekommenen Tunnelforschung spielt auch die Risikoanalyse eine Rolle. Weil man, so Marcher, den Baugrund nicht zu 100 Prozent genau einschätzen könne. Verformungen und ein Bruch im Untergrund könnten hinzukommen. Zudem haben sich die Tunnelbohrmaschinen in den vergangenen Jahren hinsichtlich Technik und Wirtschaftlichkeit maßgeblich verbessert. Auch die zunehmende Digitalisierung habe den Tunnelbau maßgeblich verändert. Und neben dem Neubau stehen jetzt zunehmend Tunnelsanierungen und -vergrößerungen auf dem Plan.

Der neue Lehrgang der beiden steirischen technischen Unis ist mit sechs Modulen berufsbegleitend ausgerichtet. Schon bisher kamen zahlreiche Interessenten aus Nord- und Südamerika sowie Asien, dabei vor allem aus Indien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2019)

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