Polit-Newcomer Wolodymyr Selenskij ist in einem Wohnblock in der Industriestadt Kriwij Rih aufgewachsen. Wie viel Stahlstadt steckt in dem 41-Jährigen? Und was halten die Menschen von dem berühmten Spross? Besuch in seinem früheren Zuhause.
Kriwij Rih. Ameisenhaufen nennen sie den Wohnblock, weil hier so viele Familien leben. Zwölf Stockwerke ist er hoch, Stiegen hat er mehr als ein Dutzend. Mit seinen schießschartenartigen Aufzugsschächten wirkt er wie eine verwitterte Trutzburg. Von der Fassade fallen die weißen Kacheln ab wie Blätter im Herbst. Jedes Fenster, jeder Balkon, jeder Eingang sieht ein wenig anders aus: hoffnungsloses Flickwerk, immer wieder gestrichen und gestopft. Schäbig, aber nicht verwahrlost. Im Innenhof selbst gezimmerte Bretterbänke unter Bäumen, improvisierte Blumenbeete, geduckte Garagen. Hier hat Wolodymyr Selenskij gelacht, gespielt und sich geprügelt. Der Mann, der neuer ukrainischer Staatschef werden könnte, ist in einem in die Jahre gekommenen Wohnblock aufgewachsen, wie es Tausende in der Ukraine gibt.
Selenskijs Geschichte ist die eines Aufsteigers aus dem Ameisenhaufen, eines einfachen Burschen aus der Provinz, der mit seinen 41 Jahren eine großartige Karriere hingelegt hat. Zuerst hat er in der Hauptstadt Kiew als Comedystar Berühmtheit erlangt. Am Sonntag wird er sehr wahrscheinlich zum sechsten Präsidenten der Ukraine gewählt werden.
Hier im Ameisenhaufen kennt ihn jeder als Wowa von Stiege 13. „Nur zwei Stiegen weiter“ habe Selenskij gewohnt, sagt eine junge Frau, deren Tochter in einer Schaukel hin- und herschwingt. „Und immer freundlich gegrüßt.“ Wen man auch fragt, alle loben die Familie. Die Eltern: beide Akademiker, trotzdem nicht hochnäsig. „Eine anständige Familie, ein anständiger Kandidat“, meint die 66-jährige Natalia Nikolajewna.