Ukraine: Jubel und Ungewissheit in Kiew

Konfettiregen über Wolodymyr Selenskij (41): Der Entertainer wird neuer Präsident der Ukraine.
Konfettiregen über Wolodymyr Selenskij (41): Der Entertainer wird neuer Präsident der Ukraine. (c) APA/AFP/GENYA SAVILOV
  • Drucken

Sieger Wolodymyr Selenskij vermied im Wahlkampf klare Ansagen. Die Wähler hoffen auf schnelle Verbesserungen – ungewiss ist, wie er diese ohne Hausmacht im Parlament umsetzt.

Kiew. „Nun ja, welche Fragen gibt es?“ Wolodymyr Selenskij wirkt klein und ein wenig verunsichert, wie er da auf der Bühne steht und Journalistenfragen beantwortet. Großer Redner ist er keiner. Das verwundert, wo er doch sonst vor Publikum kaum zu stoppen ist, wenn er einen Politiker persifliert. Jetzt ist er selbst einer. In der Wahlnacht bedankt sich der junge Mann in der dunkelblauen Anzugjacke, eben zum neuen Präsidenten der Ukraine gewählt, artig bei seinem Team, seinen Unterstützern und seiner Ehefrau Olena.

Pathos schwingt in Selenskijs kurzer Ansprache nicht mit. Auch Details zu seinem politischen Programm sind an diesem Abend keine zu erfahren. Er wolle die in Russland gefangenen Ukrainer heimholen, verspricht er. Es gebe für ihn nur „ein einiges Volk der Ukrainer“, ungeachtet regionaler Unterschiede. Er halte am Minsker Friedensprozess und am Normandie-Verhandlungsformat fest. Mit ungefähren Ansagen wie diesen hat Selenskij gesiegt. Wer mit Petro Poroschenko unzufrieden war, stimmte für ihn. Das waren viele.

Nur Lemberg für Poroschenko

Die Ukrainer, die den 41-Jährigen mit einer klaren Mehrheit von 73 Prozent in das Amt des Staatschefs gewählt haben, müssen wohl noch weiter auf klare Ansagen warten. In Selenskijs Pressezentrum war die Luft dünn geworden, so viele Journalisten hatten sich um die Bühne gedrängt, um bei dem in Umfragen angekündigten Triumph dabei zu sein. In Petro Poroschenkos Hauptquartier herrschte wenig Andrang und nach Wahlschluss Katerstimmung: Nur knapp ein Viertel der Ukrainer hatte eine weitere Amtszeit des 53-Jährigen befürwortet.

Auch in den westlichen Regionen mit Ausnahme des Gebiets Lwiw (Lemberg) war Poroschenko unterlegen. Zahlenmäßig mehr Anhänger als Selenskij hatte er nur noch in der ukrainischen Diaspora im Westen. Etwa in Wien: Hier stimmten mehr als 66 Prozent für den Amtsinhaber, auf Selenskij entfielen nur knapp 32 Prozent der 1100 Stimmen.

Von seinen internationalen Politikerkollegen erhielt der Polit-Neuling Selenskij Glückwünsche: Bundeskanzler Sebastian Kurz gratulierte noch am Sonntagabend, während die deutsche Kanzlerin mit der Gratulation bis Montag warten ließ. „Die Stabilisierung der Ukraine sowie eine friedliche Konfliktlösung liegen mir ebenso am Herzen wie die Durchführung zentraler Reformen der Justiz, der Dezentralisierung sowie der Korruptionsbekämpfung“, wurde Angela Merkel zitiert. Sie lud Selenskij nach Berlin ein. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk beglückwünschten den Gewinner. US-Präsident Donald Trump rief Selenskij an.

Der Kreml reagierte zurückhaltend: Es sei „zu früh“, um über einen Glückwunsch von Präsident Wladimir Putin an Selenskij oder „die Möglichkeit einer Zusammenarbeit“ zu sprechen, sagte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow am Montag in Moskau. Nur anhand von „Taten“ könne dies beurteilt werden, hieß es weiter. Peskow sagte zwar, dass Moskau die Wahl der ukrainischen Bevölkerung „respektiere“. Zugleich zog er aber die Legitimität der Wahl in Zweifel, da ukrainische Bürger in Russland keine Stimme abgeben konnten.

Poroschenko gestand indes seine Niederlage ein. Er kündigte an, weiter in der Politik bleiben zu wollen. Er werde den Westkurs des Landes, die ukrainische Sprache und die starke Armee verteidigen. Poroschenko könnte sich für die Parlamentswahlen als Oppositionsführer in Stellung bringen.

Partei existiert auf dem Papier

Die Entscheidung im Herbst ist der nächste große politische Meilenstein: Erst wenn Selenskij in der Kiewer Rada über eine Hausmacht verfügt, hat er eine Chance, die Politik nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Er hat angekündigt, den umstrittenen Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko ablösen zu wollen. „Er gehört zur alten Garde“, sagte Selenskij am Sonntagabend. „Wir werden neue Leute ernennen. Nicht nur ihn.“ Doch auch für andere Personalia (etwa Außen- und Verteidigungsressort) benötigt er die Zustimmung des Parlaments. Derzeit hat er keinen einzigen Abgeordneten, da seine Partei „Diener des Volkes“ bislang nur auf dem Papier existiert. Die nächsten Monate könnten nicht besonders lustig werden für Selenskij.

Auf einen Blick

Der Komiker Wolodymyr Selenskij ist der klare Gewinner der Präsidentenwahl in der Ukraine. Er siegte mit rund 73 Prozent der Stimmen, das offizielle Endergebnis wird noch erwartet. Er soll im nächsten Monat angelobt werden.
Der 41-Jährige hatte im Wahlkampf auf Armuts- und Korruptionsbekämpfung gesetzt und war als Kandidat aufgetreten, der außerhalb des politischen Establishments steht. Die Erwartungen all der unterschiedlichen Wählergruppen zufriedenzustellen wird sicher nicht einfach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Nicht nur die Ukraine wartet gespannt darauf, welche konkreten politischen Pläne Wahlsieger Wolodomyr Selenskij letztlich enthüllen wird.
Außenpolitik

Wer steht hinter Präsident Selenskij?

Das Team des künftigen Präsidenten ist bunt. Da er über wenig Erfahrung und eigene Personalressourcen verfügt, könnte ihn das empfänglich für Einflussnahme von außen machen.
Außenpolitik

Ukraine: Warum Selenskij siegte

Der 41-jährige Entertainer Wolodymyr Selenskij wird neuer Präsident der Ukraine. Er holte die Mehrheit der Bürger in ihrem Alltag ab.
Erfolgreicher Wahlkampf: Wolodymyr Selenskij
Außenpolitik

Der Triumph des Komikers Selenskij

Vorläufigen Auszählungsergebnissen zufolge liegt der politische Newcomer eindeutig vor Amtsinhaber Petro Poroschenko. Der gestand am Sonntagabend seine Niederlage ein und kündigte an, weiter in der Politik bleiben zu wollen.
Außenpolitik

Selenskijs Stimme "für die Ukraine"

Herausforderer Wolodymyr Selenskij gab seine Stimme in einem Plattenbauviertel in Kiew ab, Amtsinhaber Petro Poroschenko wählte im zentralen Haus der Offiziere: Zwei Orte mit Symbolbedeutung im ukrainischen Präsidentschaftswahlkampf.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.