Wieder einmal eine bürgerliche Tragikomödie

(c) Peter Kufner
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Dass Reinhold Mitterlehner instrumentalisiert wird, kam ihm nicht in den Sinn. Über sein Buch „Haltung“ und dessen Rezeption.

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Hier ist wieder ein Beitrag in meiner „seltsam verschrobenen Weltsicht“, wie ein Leser aus Tirol letzthin schrieb. Erzkatholisch (was mir auch vorgehalten wurde, ich aber für ein Kompliment halte) ist er ausnahmsweise nicht.

Es war eigentlich eine Nostalgie-Veranstaltung, die Reinhold Mitterlehner am vorigen Mittwoch zur Vorstellung seines Buchs im Presseklub Concordia abhielt. Der Saal war bummvoll mit Journalisten, viele davon in meinem (vorgerückten) Alter, und Polit-Adabeis, die bei allen Aussagen Mitterlehners gegen die jetzige ÖVP-Führung eifrig klatschten, was bei einer Pressekonferenz höchst unüblich ist. Aber das war ganz im Sinne des Verlags. Fragen durften natürlich schon gestellt werden.

Über den Inhalt des Buches wusste man aus Vorabdrucken und Vorweg-Kommentaren ohnehin schon alles, interessant war also nur, was der Autor sonst noch sagen würde. Er war mit seiner journalistischen Betreuerin, Barbara Tóth vom „Falter“, erschienen, jener Zeitung, die ihn am selben Tag als Kronzeugen gegen die jetzige ÖVP angepriesen hatte. Man fragt sich, wie Mitterlehner ausgerechnet in diese Gesellschaft kam und wer das vermittelt hat. Dass er instrumentalisiert wird, kam ihm anscheinend nicht in den Sinn. Sich selbst „Haltung“ zuzuschreiben, wie der Titel des Buchs lautet, könnte ein peinliches Selbstlob sein, ist aber wahrscheinlich auf mangelndes Sprachgefühl beim Ex-Vizekanzler zurückzuführen.

Seine Schreiberin hat jedenfalls nichts dagegen gehabt. Es soll ja der edle Vertreter der guten alten, christlich-sozialen schwarzen ÖVP gegen die schlechte, sozial kalte und jedenfalls ganz weit rechts stehende neue türkise ÖVP aufgeboten werden. Das war immer schon eine Besonderheit des politischen Diskurses in Österreich, dass ihre Gegner bestimmen wollen, wie die ÖVP zu sein hat, und diese das auch noch glaubt. Vor allem soll ihr eine Koalition mit der FPÖ verboten sein, damit die SPÖ an der Macht bleiben kann. Aber am 15. Oktober 2017 haben die schwarzen ÖVP-Wähler die türkise Partei gewählt, und sie sind augenscheinlich bis heute recht zufrieden mit ihrer Entscheidung. Ob diese Koalition wiedergewonnener alter und einiger neuer ÖVP-Wähler größeren Belastungen, etwa einer wirtschaftlichen Rezession, standhält, weiß niemand.

Vorläufig ist von einer Spaltung der Partei jedenfalls nichts zu sehen. Solang Sebastian Kurz die Macht garantiert, ist man gern dabei, natürlich auch als Landeshauptmann. Die Leute, die sich als die „andere“ ÖVP gerieren, wie Christian Konrad, Ferry Maier, ab und zu noch Erhard Busek, haben eher persönliche Ressentiments und Aufmerksamkeitsentzugserscheinungen als eine reale politische Bedeutung.

Dass sich Mitterlehner heute einredet, er hätte, wenn man Christian Kern und ihn nur hätte weiterregieren lassen, die Wahlen am 15. Oktober 2017 gewinnen können, ist eine Selbsttäuschung. Das hat Michael Spindelegger brutal ausgesprochen: Kurz habe im Gegenteil die ÖVP gerettet. Für die an Spindelegger ungewohnte Härte gibt es auch eine Ursache: Er wird sich daran erinnern, dass sein Nachfolger ungerührt und untätig abgewartet hat, wie er selbst zermürbt aufgeben musste; außerdem war Kurz seine „Erfindung“.

Wenn heute der „Rechtsruck“ der ÖVP so lebhaft beklagt wird, vergisst man, dass die Partei über drei Obmänner hinweg an Profil verloren hatte und niemand mehr wusste, wofür sie steht. Natürlich ist Mitterlehner nicht „links“, wie ihm Josef Pröll vorwirft, er hatte nur nicht die konzeptionelle Kraft für einen Gegenentwurf zum dominierenden linksliberalen Mainstream. Das gilt auch für seine beiden Kritiker Pröll und Spindelegger. Und sie hatten alle drei keine Chance in einer Regierung mit der SPÖ. Darum wirkt es etwas gequält und aufgesetzt, wenn Mitterlehner nun den Ideologen gibt, wobei ihm ohnehin nicht mehr einfällt als die übliche, wenig kenntnisreiche Kritik an der Ausländerpolitik.

Ein Thema bei der Veranstaltung war, dass die ÖVP zu allem bereit sei, wenn es darum geht, die Macht zu erringen. Gemeint war damit vermutlich die Koalition mit der FPÖ. Als ob die Essenz der Politik nicht das Anstreben von Macht wäre, ohne die man nichts von dem durchsetzen könnte, was man für richtig hält. Der SPÖ, für die die Macht noch viel wichtiger ist, weil sie sie für die Bestätigung ihrer historischen Mission hält, wird sie selbstverständlich zugestanden. Nur die Grünen glaubten lange Zeit, die Verhinderung des Erfolgs einer anderen Partei, nämlich der FPÖ, sei schon ein ausreichender Zweck von Politik. Unterdessen sind sie auch gescheiter geworden und merken, dass die Macht den auszehrt, der sie nicht hat, wie der politische Altmeister Giulio Andreotti bemerkte. Sebastian Kurz (dessen Name nicht gefallen ist) habe „die Rechten salonfähig gemacht“, sagte Mitterlehner. Damit macht er sich die Geschichtsinterpretation seiner neuen Freunde zu eigen, in der es das Jahr 1970 nicht gegeben haben darf, als Bruno Kreisky mit der FPÖ paktierte. Er ließ sich von deren Obmann, dem ehemaligen SS-Obersturmführer Friedrich Peter, die Duldung einer SPÖ-Minderheitsregierung versprechen. Im Gegenzug bekam die FPÖ eine für sie günstige Reform des Wahlrechts (seither haben wir 183 Abgeordnete, vorher taten es 165), die ihr die Dauerpräsenz im Nationalrat garantierte.

Der blaue „Mohr“ hatte ein Jahr später seine Schuldigkeit getan, aber unter den neuen Bedingungen ein ganz gutes Auskommen.

Richtig salonfähig gemacht wurde die FPÖ 13 Jahre später durch eine formelle Koalition mit der SPÖ. Es ist eine Mär, dass die FPÖ damals eine „liberale“ Partei gewesen sei, auch wenn man ihren Vorsitzenden Norbert Steger irgendwie als Liberalen bezeichnen könnte. Diese Vor-Haider-FPÖ ist ziemlich genau dieselbe wie die heutige, für die derselbe Steger als Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats fungiert.

Der angebliche linke Flügel in der SPÖ, der so etwas wie ein „antifaschistisches Gewissen“ der Partei sei, hätte damals lauthals protestieren müssen. Es gingen aber nur einige Jusos mit Transparenten „Nazi-Ofner raus“ auf die Straße. Harald Ofner war Justizminister. Daraus lernen wir, dass Links mit Rechts erlaubt ist, Halbrechts mit Etwas-weiter-Rechts nicht, denn das ist dann ein „Rechtsbündnis“, gegen das man Europa mobilisieren und zu Sanktionen aufrufen muss wie im Jahr 2000.
Mitterlehner ist nie als der große Gegner einer Koalition seiner Partei mit der FPÖ aufgefallen, als der er sich heute gibt, aber er war natürlich ein sozialpartnerischer Großkoalitionär. Es hat in der ÖVP immer eine tiefe Skepsis gegen die FPÖ gegeben. Schon 1970 wäre nach dem Wahlergebnis eine Koalition mit der FPÖ möglich gewesen. Die gegenseitige Abneigung war aber zu groß, sie ist also viel älter, als manchen in der FPÖ bewusst ist, die nur bis Knittelfeld zurückdenken.

Die ÖVP kommt sich von allen ungeliebt vor: „Alle hassen uns“, klagte ein VP-Mann, „die Roten wegen 2000; die Blauen wegen Knittelfeld; und die Grünen wegen der gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit ihnen nach der Wahl 2002.“ Trotzdem geht's ihr momentan ganz gut damit.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2019)

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