Grünes Gewissen auf dem Red Carpet

Carrara. Kaskadenförmiger Marmor: Geyrhalters Film belehrt nicht, er beobachtet, was ist.
Carrara. Kaskadenförmiger Marmor: Geyrhalters Film belehrt nicht, er beobachtet, was ist.(c) Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
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Die Umwelt als Protagonistin im Film, aber auch im Kinosaal und bei der Produktion von Festivals: Wie und wo die Filmbranche an den Planeten denkt.

Bagger schaufeln wie in einer Choreografie Tonnen Erde durch karge Landschaften. Baustellen, Minen und Steinbrüche gleichen in langen, weiten Einstellungen zeitweilig Kunstpanoramen. Andernorts vergegenwärtigt eine Sprengung, dass man hier kein starres Google Earth sieht. Sondern Szenen, wie der Mensch rund um die Welt in geologische Prozesse eingreift – Dinge wie Marmor herausnimmt, anderes, wie Atommüll, hineinstopft. Dazwischen erzählen Arbeiter in Interviews, wie sie auf diesen Terrains Berge versetzen: Ein Ingenieur am Brenner etwa fühle sich wie ein Astronaut, wenn er durchs Fleisch des Gebirges bohrt. Mit „Erde" porträtiert der Wiener Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter erneut die Spuren der menschlichen Zivilisation, ihr Verhalten gegenüber der Umwelt, ihre Eroberung der Erde im Anthropozän – jenem Zeitalter, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf dem Planeten geworden ist.

„Der Mensch bewegt wesentlich mehr Erdoberfläche als die Natur", so der Regisseur, der auch selbst die Kamera führt. Viel Recherche begleitete das Projekt, um Bilder von schwer zugänglichen Orten zu finden, an denen umgegraben wird. Im Kino soll man sie hautnah erleben: „Wir alle sind ein Teil dessen. Wir konsumieren, verbrauchen Energie, haben einen großen ökologischen Fußabdruck. Wichtig ist, mit dem Film eine Möglichkeit zu geben, kurz innezuhalten und nachzudenken: Warum sind die Dinge so, wie sie sind?"

Bewusstsein. Die #denktweiter-Abende im Gartenbaukino geben Anstoß, sich selbst zu engagieren.
Bewusstsein. Die #denktweiter-Abende im Gartenbaukino geben Anstoß, sich selbst zu engagieren.(c) Gartenbaukino

Neue Wege. Immer wieder sind es drängende Themen unserer Zeit, die Geyrhalter aufgreift – auch umweltpolitische Aspekte. Im Bereich der Umweltdokus sind in den letzten Jahren beachtlich viele Arbeiten entstanden: Von „Before the Flood" über den Klimawandel mit Leonardo DiCaprio über utopische Lösungsvorschläge in „Tomorrow" (2016) bis zu hiesigen Filmen wie „The Green Lie" von Werner Boote oder „Welcome to Sodom" über Elektroschrott (2018). Letzterer wurde im Gartenbaukino im Rahmen einer Initiative präsentiert, die dieses Denken an die Umwelt nicht bei Film­inhalten aufhören lassen will: #kinodenktweiter.

Als Wiktoria Pelzer vom Gartenbaukino begann, sich privat mit Plastikvermeidung und Zero Waste auseinanderzusetzen, störte es sie, dass das im beruflichen Alltag kein Thema war. Also startete sie 2016 mit thematischen Veranstaltungen, aber auch damit, das Kino als „grünen" Standort zu optimieren. Denn: Kino verbraucht viel Energie. Und die Besucher machen Müll. Seitdem ging man kleine Schritte – Batterien wurden auf Akkus getauscht, Plastik auf Glasflaschen – und große, wie die Energieumstellung auf Wasserkraft. Einige waren auch lustig, erzählt Pelzer von wochenlangem Müllabwiegen oder dem Nähen ihrer ausgemusterten Kinoleinwand zu neuen Taschen (gemeinsam mit Garbarage Upcycling Design). Je skurriler, desto mehr Aufmerksamkeit: So dachte heuer auch die Berlinale, als man einen roten Teppich aus recycelten Fischernetzen ausrollte, um auf die Vermüllung der Meere aufmerksam zu machen. „Wir als Kulturinstitution haben eine Strahlkraft. Wenn wir umweltfreundlich agieren, kann man das sehen", verdeutlicht Pelzer, dass auch #kinodenktweiter öffentlichkeitswirksam sein möchte. Auszeichnungen helfen dabei: Das Gartenbaukino ist zum Beispiel ein zertifizierter Ökobusinessplan-Betrieb, die #kinodenktweiter-Reihe lief bisher als „ÖkoEvents". Diskussionen – über Fairfashion oder Fairphones – gehören da auch dazu, um Infos und einen Anstoß zu geben, der über den Abend hinausgeht. Pelzers großer Wunsch ist es, bald die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg ins Kino zu bekommen. Daneben stehen Filme im Zentrum, die einen Umweltmissstand thematisieren. Aber dies passiert auch abseits der Initiative: Geyrhalters „Erde" feiert im Gartenbaukino seine Wien-Premiere.

Kleine Schritte. Die Diagonale denkt an die kleinsten Details: Der Sattelschoner ist schadstofffrei.
Kleine Schritte. Die Diagonale denkt an die kleinsten Details: Der Sattelschoner ist schadstofffrei.(c) Diagonale Raneburger

Blumen statt Plastik. Innerhalb der Branche gibt man Impulse weiter. Der Arthouse-Zusammenschluss Cicae lud Pelzer bereits ein, die Idee bei Vernetzungstreffen in die Welt hinauszutragen, wobei sie wiederum das nachhaltige Kino „Depot" im englischen Lewis entdeckte, „das sich über die kleinsten Dinge Gedanken macht". Selbst ließ sich das Gartenbaukino von der Diagonale inspirieren: von deren Haltung und Hashtag.

Obgleich beim Grazer Festival Film und künstlerischer Anspruch im Zentrum stehen, berücksichtigt man bei den Rahmenbedingungen schon seit acht Jahren ökologische Aspekte. 2016 – als Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber die Diagonale-Intendanz übernahmen – baute man die Bestrebungen gleichsam als #denktweiter aus: Blumen statt Plastik, Lastenräder statt Autos, Abfallvermeidung, regionale (Gastro-)Partner, auch Soziales berücksichtigt man – ohne Green Washing oder Belehren. „Green Events Austria" nahm die Diagonale mittlerweile als Role Model in seine Hall of Fame auf. „Nachhaltigkeit ist ein Modewort, bei dem man schon aufpassen muss", so die Intendanten. Deshalb gehört übers Jahr, bis zum nächsten Festival, auch Vor- und Nacharbeit und Reflexion dazu. „Wie kann man mit Ressourcen der Stadt arbeiten und Mehrwert für die Region schaffen?", nennt Höglinger eine zentrale Frage. Ihre Partner vernetzen sich, beobachten die Intendanten wohlwollend: Grüne Anreize werden weitergetragen. „Auch im Begleitprogramm haben wir verstärktes Interesse bemerkt", erzählen sie. Etwa am Thema „green producing": Nicht nur über Filminhalte und im Kino denkt man über die Umwelt nach, auch bei der Produktion. In Österreich war David Schalkos Landkrimi „Höhenstraße" (2016, Superfilm) das Pilotprojekt für das Österreichische Umweltzeichen, das fortan an besonders nachhaltige Produktionen verliehen werden soll.

„Im Spielfilmbereich kann man dort gut ansetzen, wo es um viele Beteiligte geht", meint Filmemacher Geyrhalter. Seine eigenen Dokus dreht er in kleinem Team. Transport, Energie oder Müll spielen da nur eine geringe Rolle – auch wenn er ökologische und ökonomische Grundsätze mitdenken will: „Ein kleiner Tropfen, aber unsere Firma hat eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach."

Tipp

„Erde". Nikolaus Geyrhalters neuer Film feiert am 14. 5. im Gartenbaukino Wien-Premiere. Die Homepage, auch mit Infos zu #kinodenktweiter: www.gartenbaukino.at

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