Bei einem Treffen mit Kanzler Kurz bietet Alibaba-Chef Jack Ma 30 heimischen Unternehmen Zutritt zu seinem Handelsimperium an.
Hangzhou. Für die österreichische Delegation standen ganze Straßen still: zunächst in der Wirtschaftsmetropole Shanghai. Dann während einer knapp zweistündigen Autobahnfahrt in die am berühmten Westsee gelegene Stadt Hangzhou. Alle paar Hundert Meter hielten Polizisten den sonst so dichten Verkehr auf. Geht es nach Jack Ma, dem Chef des Internetriesen Alibaba, wird ein solches Polizeiaufgebot bald nicht mehr nötig sein: Künftig soll Technologie in solchen Fällen für freie Fahrt sorgen.
Persönlich empfing Chinas Tech-Aushängeschild Bundeskanzler Sebastian Kurz und Niederösterreichs Landeshauptfrau, Johanna Mikl-Leitner, am Donnerstag vor dem Alibaba-Hauptquartier in Hangzhou. Ma, der sich aus ärmsten Verhältnissen zum reichsten Chinesen hochgearbeitet hat, hat Gefallen an dem jungen Politiker aus Europa gefunden. Umgekehrt gefällt dem 32-Jährigen die positive Einstellung Mas, den er als „interessanten Gesprächspartner“ bezeichnet. Zum dritten Mal in wenigen Monaten trafen die beiden aufeinander.
Hunger nach Daten
Kurz ist anlässlich eines Forums zur Seidenstraßeninitiative, dem Prestigeprojekt von Staats- und Parteichef Xi Jinping, in China. Vor Gipfelbeginn am Freitag traf er auf Mikl-Leitner, die ein Partnerschaftsabkommen mit der 57-Millionen-Einwohner-Provinz Zhejiang erneuerte.
„Daten sind die wertvollste Ressource der Zukunft“, meinte Ma bei seiner Führung und zeichnete seine Vision smarter Städte: Alibaba entwickelt in Hangzhou ein vollautomatisches Ampelsystem, das Einsatzkräften im Notfall freie Fahrt ermöglichen soll. Machbar ist das freilich nur mit der Unmenge an Daten, die der 420 Milliarden Dollar schwere Konzern über seine Plattformen sammelt – von der Bezahlapp Alipay bis zur E-Commerce-Seite Taobao. Alibaba hat knapp 700 Millionen Nutzer in der Volksrepublik, Datenschutz ist kaum existent.
„In Europa wäre so etwas nicht möglich“, kommentierte der quirlige Unternehmer trocken. „Ihr macht euch zu viele Sorgen.“ So liefert Alibaba einen Teil der Datenbasis für Chinas Sozialkreditsystem – laut Kurz ein „bedenkliches“ Programm: Zahlungssäumige Chinesen werden von Teilen des sozialen Lebens ausgeschlossen. Sie dürfen etwa keine Schnellzüge mehr benutzen oder ihre Kinder nicht in Privatschulen schicken.
Auf Datensammlung basiert auch eine Revolution, die Ma für das Welthandelssystem vorschwebt. Es sei derzeit von der Welthandelsorganisation und Großkonzernen geprägt. Er will nun eine globale elektronische Handelsplattform aufbauen: Jedes Klein- und Mittelunternehmen soll so am Weltmarkt teilhaben.
"Sonst werden wir abgehängt"
Der traditionelle Handel sei passé. Kleinunternehmen dürften nicht in Geschäften auf Kunden warten, sie müssten Technologie nutzen, um ihre Produkte anzubringen, meint Ma. Auch Österreich als Exportnation soll profitieren: Ma lud 30 heimische Firmen zu Schulungen ein, damit sie ihre Produkte später über die Dienste des Handelsimperiums in der Volksrepublik anbieten können.
Dass Alibabas Datenhunger ein zweischneidiges Schwert ist, beweist ein Projekt des Online-Riesen in der westchinesischen Provinz Xinjiang: Dort, wo die uigurische Bevölkerung auf Schritt und Tritt digital überwacht wird, sollen Konsumentendaten bei der Armutsbekämpfung der Bauern helfen. Alibaba zeichnet etwa auf, welche Melonen die Bevölkerung am liebsten isst. Später empfiehlt der Konzern den Landwirten die Züchtung auf den Geschmack der Kunden abgestimmter Sorten.
Ma habe ein gutes Gefühl für globale Trends, sagte Kurz nach dem Treffen. Er rief Europa zu Mut zur Innovation auf: „Sonst werden uns Länder wie China in so einer Geschwindigkeit abhängen, dass wir uns das jetzt noch nicht vorstellen können.“ Eins zu eins könne Österreich das chinesische Modell allerdings nicht anwenden. „Bei allen Chancen, die der Onlinehandel bietet, müssen wir sicherstellen, dass der traditionelle Handel nicht zerstört wird.“