Digitalisierung droht Mittelschicht auszudünnen

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Die Automatisierung wird keine Massenarbeitslosigkeit verursachen, aber die Arbeitswelt wird sich tiefgreifend verändern, schätzt die OECD. Die Politik sei gefordert, Bildungsangebote vor allem für wenig Qualifizierte zu schaffen.

Wien/Berlin. Jobkiller oder Heilsbringer: Die Bandbreite der Einschätzungen der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt ist groß. Was ist realistisch? „Weltuntergangsszenarien sind nicht angebracht, technologisch bedingte Massenarbeitslosigkeit ist unwahrscheinlich“ – so lautet die positive Botschaft der OECD, die sich in ihrem neuen „Beschäftigungsausblick“ die Auswirkungen des technologischen Wandels und der Globalisierung auf die Zukunft der Arbeit genau angesehen hat.

Euphorie ist dennoch nicht angebracht – nicht bei den in Beschäftigung Stehenden und schon gar nicht bei den Damen und Herren in den Regierungskanzleien. Die OECD geht davon aus, dass in den nächsten 15 bis 20 Jahren jeder siebente Arbeitsplatz (14 Prozent) infolge von Automatisierung verschwinden dürfte – in Österreich sind es 16,6 Prozent. Ein weiteres Drittel der Jobs (32 Prozent, in Österreich 29,7 Prozent) werde sich radikal verändern. Das ist „deutlich weniger“, als in einigen Studien behauptet wurde, schreiben die OECD-Experten, um gleich mit einem großen Aber nachzusetzen.

Generell werde die Arbeitswelt tiefgreifende Veränderungen durchmachen, mit negativen wie auch positiven Aspekten. Gefährliche und langweilige Jobs würden verschwinden, neue Arbeitsplätze und Berufsfelder entstehen. Das habe zur Folge, dass viele Menschen nicht nur den Arbeitsplatz, sondern den Beruf werden wechseln müssen. So tun sich etwa im Big-Data-Management, Roboteringenieurwesen oder in der Drohnentechnik neue Chancen auf. „Die Arbeit wird uns nicht ausgehen“, sagte OECD-Generalsekretär Ángel Gurría am Donnerstag.

Wir werden also umlernen müssen, was den jetzt schon gut Ausgebildeten leichterfallen dürfte, zumal der Erwerb neuer Kompetenzen und Qualifikationen auch kostspielig ist. Die OECD zieht daraus den – nicht überraschenden – Schluss, dass hoch Qualifizierte vom technologischen Wandel profitieren werden. Schlecht Ausgebildete und Unter- bzw. Teilzeitbeschäftigte drohten indes unter die Räder zu kommen. Zu letzterer Gruppe zählen vor allem junge, gering ausgebildete Menschen mit gering bezahlten bzw. gar keinen Jobs sowie Frauen und Scheinselbstständige. „In allen OECD-Ländern nützen jedoch just diejenigen am wenigsten Weiterbildungsangebote, die sie am dringendsten nötig hätten: gering Qualifizierte, ältere und atypisch Beschäftigte“, hießt es in der Studie.

Lebenslanges Umlernen

Um die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern der Digitalisierung – und damit die drohende „Aushöhlung der Mittelschicht“ – zu verhindern, bedürfte es eines Kraftakts. „Mit kleinen Schritten ist es nicht getan“, warnte Gurría mit dem Hinweis darauf, dass eine wachsende Zahl vom Fortschritt ausgeschlossener Menschen soziale und wirtschaftliche Spannungen erhöhe. Das zu vermeiden müsse den Staaten Geld wert sein.

Arbeitskräfte, Unternehmen, die Sozialpartner und vor allem die Politik seien daher aufgefordert, eingefahrene Vorgehensweisen über Bord zu werfen und neue Wege – Stichwort Bildungsreform – zu beschreiten. Die Organisation schlägt vor, von dem in so gut wie allen Mitgliedstaaten bestehenden Modell der „vorgelagerten Bildung“ (bei dem Kompetenzen in Schule und Universität erworben und dann am Arbeitsplatz genutzt werden) abzugehen und es durch ein System zu ersetzen, bei dem Wissen und Können während des gesamten Erwerbslebens kontinuierlich aktualisiert werden.

Da die Gewerkschaften (als Hort der Sicherung von Arbeitnehmerinteressen) in allen OECD-Ländern an Einfluss verlieren, sollten soziale Sicherungssysteme verbessert und neue geschaffen werden. Das gelte vor allem für neue Beschäftigungsformen, die die Automatisierung mit sich bringen wird.

Österreich sei eines der wenigen Länder, das Geringverdiener bzw. atypisch Beschäftigte und Selbstständige relativ gut absichere, konstatiert die OECD. (eid)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2019)

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