Macron und „die Kunst, Franzose zu sein“

Die meisten Franzosen waren schon nach den ersten Minuten von Macrons einstündiger Einleitung seiner großen Pressekonferenz ermüdet.
Die meisten Franzosen waren schon nach den ersten Minuten von Macrons einstündiger Einleitung seiner großen Pressekonferenz ermüdet. (c) REUTERS (PHILIPPE WOJAZER)
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Präsident Macron kündigte Steuersenkungen und mehr direkte Demokratie an. Nicht nur die Gelbwesten blieben davon unbeeindruckt.

Paris. Es soll der Auftakt zu einem „zweiten Akt“ seiner Präsidentschaft sein. Der französische Staatspräsident, Emmanuel Macron, sagte bei einer Pressekonferenz, was er in seiner Amtszeit bis 2022 noch machen will. An Vorschlägen mangelte es ja nicht nach der landesweiten mehrwöchigen „großen Debatte“, die Macron selbst als Konsultation lanciert hatte und deren Ergebnisse er nun ankündigen sollte. Aber durfte man wirklich viel von diesem Auftritt erhoffen? Darüber gingen in den vergangenen Tagen die Meinungen auseinander. Im Namen der von ihm präsidierten Vereinigung der ländlichen Kommunen befürchtete beispielsweise Christian Venries, Bürgermeister des Dorfs Saint-Cirgues im Südwesten, dass sich „die große Debatte als großer Bluff herausstellt“.

Eigentlich wollte Macron sich ja zehn Tage vorher mit einer Rede direkt am Bildschirm an die Nation wenden. Doch just an jenem Montag brannte die Kathedrale Notre-Dame; Macron musste seinen Auftritt verschieben. Das Skript seiner bereits aufgezeichneten Rede war aber bereits an die Medien verteilt worden, die den Inhalt kommentierten, als ob die Ansprache gehalten worden wäre.

Trotzdem wollte Macron nun überraschen: „Ich habe den Eindruck vermittelt, in der Form hart oder gelegentlich gar ungerecht zu sein. Das bereue ich.“ Er habe sich sogar in seinem Innersten gefragt, ob er auf dem Holzweg sei, gestand er ein. Die rhetorische Frage aber diente ihm nur als Anlauf, um gleich zu erklären, dass er an seinem Kurs festhalten wolle. Unbeirrt von der Kritik, von den nicht enden wollenden Protesten der Gelbwesten und sinkenden Ergebnissen der Popularitätsumfragen.

Macron kündigte eine Senkung der Einkommensteuer im Umfang von fünf Milliarden Euro an. Pensionisten, die weniger als 200 Euro verdienen, will er besserstellen, am Pensionsantrittsalter von 62 Jahren aber nicht rütteln. Mehr Volksbefragungen soll es künftig geben, und die Elitekaderschmiede ENA will der Präsident abschaffen. Kaum hatte der Präsident sein Frage-Antwort-Spiel beendet, bekam er von den Meinungsforschern die Noten: 63 Prozent der Fernsehzuschauer fanden seinen Auftritt nicht überzeugend. Viele hatte er schon in den ersten Minuten einer fast einstündigen Einleitung ermüdet. Er redete sehr schnell und abwechselnd feierlich und fast beschwörend und dann wieder in einer komplizierten Technokratensprache. Er redete dabei auch von der „Kunst, Franzose zu sein“, die seiner Meinung nach wohl manche Landsleute verlernt hätten.

Unklare Finanzierung der Geschenke

Obwohl Libération-Chef Laurent Joffrin im Programm des Präsidenten eine „Rechtswende“ ausmacht, wird diese Fortsetzung der grundsätzlich wirtschaftsliberalen Politik auch von der konservativen Opposition kritisiert. Sie unterstreicht, dass unklar sei, wie Macron die versprochene Steuersenkung oder den automatischen Teuerungsausgleich für Altersrenten zu finanzieren gedenke. „Die Geschenke von heute sind die Steuern von morgen“, erklärte Laurent Wauquiez, der Parteichef von Les Républicains. Der Spitzenkandidat der Rechtsextremen (Rassemblement National) bei den EU-Wahlen in Frankreich, Jordan Bardella, spottete: „Ich habe kein Wort verstanden von den Vorschlägen, die Macron nicht gemacht hat.“

Besonders hart gehen die Gelbwesten mit Macron ins Gericht. „Er hat gleich zu Beginn gesagt, dass er sehr gut finde, was er seit zwei Jahren macht, und wir ihn nicht verstanden hätten. Wir haben begriffen: Er ist unfähig zu einem ,Mea culpa‘“, kommentierte Maxime Nicolle. Ein anderer Wortführer der Bewegung, Jérôme Rodrigues, geht noch weiter: „Macron ist ein talentierter Schwätzer. Er würde einem Berber Wüstensand verkaufen wollen.“ Priscillia Ludosky begnügte sich damit, als Reaktion die Termine für die Gelbwesten-Demos bis Ende Mai aufzuzählen. Einen Schlusspunkt unter die seit Mitte November andauernden Proteste in Gelb hat Macron wohl nicht gesetzt.

AUF EINEN BLICK

Frankreichs Präsident Macron kündigte eine Senkung der Einkommensteuer im Umfang von fünf Mrd. Euro und eine Anhebung der Pensionen an. Bis 2010 sollen in abgelegenen Regionen nun doch keine Schulen und Krankenhäuser geschlossen werden. Sein Ziel, 120.000 Beamtenposten zu streichen, will Macron bis Sommer überdenken. Der Elitehochschule Ecole Nationale d'Adminstration (ENA) soll der Garaus gemacht werden. Und eine Vermögenssteuer erwägt Macron auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2019)

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