Mit Werner Schwab vor den Hund gehen

Taugt Schwab zum Klassiker? Das muss sich dort entscheiden, wo das Schenkelklopfen endet – wie bei „Mein Hundemund“ im Werk X. Trotz schauspielerischer Mängel ist die Antwort ein beklommenes Ja.

Ein menschliches Wrack kriecht unter dem Tisch hervor. Die Flasche voraus, das verkrüppelte Bein hintendrein. Der Hundsmaulsepp, ein kriegsinvalider Bauer und „überempfindlicher Selbstvernichter“, beginnt seine Tirade in freiem Versmaß. Der zum Theatermonolog stilisierte Sprechdurchfall endet erst eineinhalb Stunden und viele Flaschen später, wenn der „Drecksepp“ vor seinen Hund Rolfi geht, in den Selbstmord. Zur Erleichterung von Frau und Sohn, die ihn bis dahin verhöhnen und garstige Stichworte beisteuern, aber keine Handlung. „Man kann eben nichts als Sprache“, hat Werner Schwab an den Anfang von „Mein Hundemund“ gestellt, trotzig und doch um Verständnis flehend, so wie sein Antiheld.

Nein. Was das Werk X am Petersplatz seit Donnerstag neu zur Diskussion stellt, ist kein komödiantisches Gustostückerl, wie die beiden anderen Teile der „Fäkalien-Tetralogie“. „Die Präsidentinnen“ und „Volksvernichtung“ haben ihren schenkelklopfenden Fanklub, als derb überdrehte Volksstücke im „Rocky Horror“-Format. Ihr temporärer Erfolg ist gewiss, wenn sich – wie am Akademietheater – brillante Schauspieler den von Maden zerfressenen Leckerbissen schnappen.

Auf dem durchgängig düsteren Hof vom Sepp gibt es nur rohe Fleischfetzen und wässriges Schweineblut in der Wanne. Die paar Lacher im Publikum verhallen schnell, Skandal ist keiner in Sicht. Es bleibt bloß die Beklommenheit. Ebendort und ebendann ist über die Dignität des Dichters zu entscheiden. Nicht an seinen „Wie es euch gefällt“-Komödien, sondern an seinem „König Lear“.

Die Sprache als einziger Protagonist

Vor drei Jahrzehnten stieg der Steirer Schwab wie über Nacht vom Nobody zum Darling der deutschsprachigen Bühnen auf. Nach kurzem Schaffensrausch erlag er zu Silvester 1993/94 dem Suff. Ist sein Ruhm ein Komet, der langsam verglüht, oder verfestigt er sich zum Fixstern des Klassikers? Die Antwort ist bei der Sprache zu suchen, und sie ist hier der einzig wahre Protagonist.

Das weiß auch der Regisseur. Alexandru Weinberger-Bara, ein junger Absolvent des Reinhardt-Seminars, gibt eine dezente Talentprobe ab. Er setzt nicht auf ländliches Lokalkolorit, weil Naturalismus hier nichts verloren hat, er abstrahiert aber auch nicht über Gebühr. Die Szenerie ist eher suburban als rustikal, voll mit Müll, Schrott und Plastikplanen, eine Abraumhalde von Zivilisation und Gesellschaft. Auf ihr stapft das „saubere, streng geschürzte Frauenzimmer“ herum, das Sonja Kreibich solide spielt. Und der innerlich verlorene Sohn, den es in die Stadt zieht, der aber von Anfang an am Vergaser scheitert: Benjamin Vanyek kostet das Potenzial des lustspielhaften Lichtblicks großartig aus. Aber das alles nimmt der Hundsmaulsepp gar nicht richtig wahr. Jens Ole Schmieder hat ein Textmonster zu bezwingen, das „Grunzen der eigenen Innensau“. Es ist ein Kampf, bei dem er einiges einstecken muss – oft artikuliert er zu undeutlich. Auch wenn das wild wuchernde Schwabische selten so surreal und verrätselt ist wie hier, wo das Drama ständig in Lyrik abgleitet: Wenn man schon den Sinn nicht versteht, so muss es doch klingen.

Doch trotz dieser Mängel entsteht ein Sog. Die Sprache trägt. Sie trägt uns fort und lässt uns alles ertragen, fast körperlich mitleiden mit dieser versehrten, entstellten Seele. Kunst kommt selten leicht zur Welt, hier ist der Geburtskanal besonders eng. Aber am Ende ist sie doch da. Und bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2019)

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