"Land in Sicht": Das Theater lebt

Hommage an einen tollen Kollegen: Joachim Meyerhoff erinnert sich an den im Vorjahr verstorbenen Ignaz Kirchner und an gemeinsame Pläne.
Hommage an einen tollen Kollegen: Joachim Meyerhoff erinnert sich an den im Vorjahr verstorbenen Ignaz Kirchner und an gemeinsame Pläne. Georg Soulek (Burgtheater)
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Im Akademietheater gab Joachim Meyerhoff (angeblich) sein Wiener Dramen-Debüt. Es ist zugleich ein Adieu. Gedacht wurde vor allem Ignaz Kirchners. Ein großer Abend.

Drei Stunden Monolog auf der Bühne sind, sogar mit längerer Pause, eine Zumutung. Für gewöhnlich. In außergewöhnlichen Fällen aber können sie zu einem Fest der Sinne und des Geistes werden. Das erlebte am Freitag, wer im Akademietheater Joachim Meyerhoff beim scheinbar allmählichen Verfertigen der Gedanken zusah: Ein fantastischer Künstler erinnert an den großen Burgschauspieler Ignaz Kirchner, der im Vorjahr verstarb. Die beiden wollten lang schon, so hieß es vor der Uraufführung, ein eigenes Stück machen.

Dazu kam es nicht mehr. Meyerhoff hat nun Kirchners 280 Notizbücher als Stoff genommen, um posthum den gemeinsamen Traum zu verwirklichen: Kirchner hat vier Jahrzehnte lang Gedanken festgehalten, Zitate verwendet, Zeichnungen, Fotos samt ironischer Bemerkungen eingefügt. Sie sind die irre Geschichte von mehr als einer Generation deutschsprachigen Theaters und zugleich auch in vielen Passagen Sozialgeschichte, die von einem klugen Beobachter erfasst wurde.
Meyerhoff setzt diese Story traumhaft schön um. Es sei sein Debüt als Dramatiker, hieß es. Doch wenn man die Events dazuzählt, bei denen er seine verrückten autobiografischen Bücher präsentierte, ist er bereits erfahren in derartiger Selbstinszenierung. Ein geborener Erzähler. Selten sind die Abende, an denen wie nebenbei und scheinbar absichtslos alle Geheimnisse der Schauspielkunst verraten werden.

Hier passt einfach alles. Das Bühnenbild von Jenny Schleif, das einer Werkstatt ähnelt, mit Hebemaschine, Motorsäge, Kleidern, viel Holz und drei Särgen, die am Ende zweckentfremdet werden. Die bunten Kostüme von Dagmar Bald: Gut versteckt das Rot und das Schwarz, das Kirchner liebte (seine Notizbücher sind meist schwarz mit roten Ecken). Die vehemente Musik von Keyboarder Philipp Quehenberger sowie die Soli der Pianistin Johanna Marihart. Man stellt sich vor, dass Kirchner sowohl bei klassischen Passagen als auch bei schmerzhaften Anfällen von Gegenwärtigem am Ende der Aufführung verzückt gelauscht hätte.

Assistiert wird Meyerhoff von Edelkomparsen: Mirco Kreibich und Fabian Krüger als sprachlose Clowns. Kirchner hat solche Narren geliebt, er war selbst zuweilen einer. Ihre Rollen dienen der Ablenkung. Sie werken und hämmern, klettern hoch hinauf, tollen weit herum, sie verletzen sich, dass man Angst um sie bekommt. Einmal hängen sie dem Star „die Latte hoch“ – unerreichbar geben sie der Sentimentalität tröstende Farbe. Schade, wenn solch ein Protagonist oder solch ein Clown mit dem Ende der Ära Karin Bergmann demnächst das Burgtheater verlassen.

Drei Särge. Auftritt Meyerhoff. Er weist auf vier Kartons mit Kirchners Notizen. Lang bleiben sie unbenutzt, da wird von und aus ihnen erzählt. Hinten lauern bereits die Särge. Dazwischen Chaos. Der Protagonist, in Schwarz, erklärt den Titel des Stückes: „Land in Sicht“ sei ein Titel ohne tiefere Bedeutung, ein Arbeitstitel, behauptet er. Die Direktorin habe ihn gedrängt, er habe gerade das gleichnamige Lied von Rio Reiser gehört. Das klingt nach Lüge. Denn bei „Land in Sicht“ denkt man an „Robinson Crusoe“, eine Dramatisierung des Romans von Daniel Defoe, in dem Meyerhoff neben Kirchner brillieren durfte, als wäre er Gert Voss.

Auf diesen kongenialen, 2014 verstorbenen Mitspieler Kirchners kommt er naturgemäß bald zu sprechen, erzählt vom „Faust“ an der Burg 2009. Und dem Duell der Diven: Voss spielt Mephisto. Tobias Moretti den Faust. Voss residiert in der „Einser-Garderobe auf der Männerseite“. Ihr Vorteil: Sie ist die größte und liegt am nächsten zur Bühne, gebührt also dem Protagonisten. Moretti kommt zu Voss. Er will die „Einser“ haben.

Schließlich heiße das Stück doch „Faust“. Stimmt, sagt Voss. Das Stück heiße „Faust“. Doch er heiße Gert Voss. Die Lösung: Moretti wirft Katharina Lorenz (Gretchen) aus der „Einser-Garderobe auf der Frauenseite“. Lieber sei er offenbar Frau Faust als Nummer eins, folgert Meyerhoff. Und Kirchner? Der liebevolle Choleriker? Der sitzt immer neben der Einser-Garderobe in einem Kabuff für Statisten. Liest. Raucht. Seine Augen glänzen, wenn ihm ein Bonmot einfällt. „Von dort aus hatte er den kürzesten Weg zur Bühne“, sagt Meyerhoff, prahlt bescheiden, wie er den verletzten Voss als Mephisto ersetzt, wie der, als er wieder genesen ist, bei ihm anruft, um ihn zu fragen, dass er manches seiner Spielweise übernehmen dürfe. Der Jahrhundert-Schauspieler bittet den Jungstar um einen Gefallen! Natürlich geizt auch dieser nicht mit Eitelkeiten. Er führt sie augenzwinkernd dutzendfach vor. Krüger assistiert ihm in dieser Hinsicht perfekt – als wäre er Kirchner.

Und Strache? Wer das Theater liebt, der hängt dem Erzähler an den Lippen, bei all den traurig-frohen Anekdoten über sich, Ignaz und den Rest der Truppe. Weiter! Weiter! Indiskretionen über Stein, Peymann und Co. Ein Höhepunkt: Sieben Statisten strampeln im Radrennen in einem nie vollendeten Stück. Der Böse gewinnt. Das Verstehen wird durch die lärmenden Clowns zuweilen verhindert. Etwa so: Meyerhoff setzt dazu an, hochpolitisch über die FPÖ und den braunen Rand zu reden. Die Clowns werfen die Motorsäge an. Man hört nichts, sieht nur, wie er die Rechte stramm ausstreckt. Endlich Ruhe. Man hört nur Reste: „. . . hätte Kirchner gern mit Strache gemacht.“

Lauter Unvollendetes. Nach der Pause die Notizbücher, ausgewählte Seiten auf einem Screen: Dieser Stoff belehrt und unterhält. Am Ende zieren die Bücher hinten hoch hinauf die Feuermauer, wie Urnen, wie ein Reliquienschrein. Und unten Kostüme von sechs berühmten Rollen Kirchners. Es ist zum Lachen. Und zum Weinen. Etwa, wenn einem ein schwarzweißer Narr in der Pause ein Kärtchen mit einem Gedicht Fernando Pessoas zusteckt, das Kirchner geliebt hat: Wie rasch vergeht doch alles was vergeht / Wie jung verstirbt doch alles vor den / Göttern! Und alles ist so wenig! / Nichts wissen wir, und Phantasie ist alles! / Umkränz mit Rosen dich und trink und / Liebe. Und schweig. Der Rest ist nichts.

Zur Person

Ignaz Kirchner, * 1946 in Wuppertal, † 2018 in Bremen, absolvierte die Buchhändlerlehre, ehe er Schauspieler wurde. Das erste feste Engagement hatte er 1970 in Bonn. In Folge spielte er an großen Häusern in Berlin, Stuttgart, Bremen, München und Köln, bei den wichtigsten Regisseuren. Von 1987 bis 1992 und ab 1997 bis zu seinem Tod war er Ensemblemitglied des Burgtheaters. Der Kammerschauspieler glänzte in Hunderten Aufführungen.

Joachim Meyerhoff *1967 in Homburg, wurde 2001 (nach einigen Stationen zuvor) Ensemblemitglied im Maxim Gorki Theater Berlin, wo er öfter auch inszenierte. 2002 wechselte er ans Dt. Schauspielhaus in Hamburg, 2005 wurde er Ensemblemitglied des Burgtheaters. 2013 Rückkehr nach Hamburg, er spielt weiterhin auch an der Burg. Großen Erfolg hat Meyerhoff auch als Autor von bisher vier autobiografischen Büchern: „Alle Toten fliegen hoch.“

Nächste Termine für „Land in Sicht“ am Akademietheater: 29. April, 6. und 29. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2019)

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