Donaufestival: Performance, Predigt, Psychose

„I woke up in a fucked-up America!“ Lonnie Holley aus Birmingham, Alabama, im Stadtsaal Krems beim niederösterreichischen Donaufestival. „Mith“ heißt sein aktuelles Album.
„I woke up in a fucked-up America!“ Lonnie Holley aus Birmingham, Alabama, im Stadtsaal Krems beim niederösterreichischen Donaufestival. „Mith“ heißt sein aktuelles Album.[ David Visnjic/Donaufestival ]
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Wo die „New Society“ ist, dräut auch Jenseitiges: Unheimliche Körperkunst, fesselnde Konzerte und eine Ausstellung über Steve Bannon in Krems.

Welche Sprache haben wir für das Unerkennbare?“, fragte eine junge Frau am Ende der starken Performance „Paradise Now“, und eine andere sinnierte über das Reden von einem Wir: Könne dieses die Gedanken öffnen – „towards a beyond, towards a torsion of capitalism“?
In der dem Publikum ausgehändigten deutschen Übersetzung steht für „a beyond“ der noch eindeutiger religiös geprägte Ausdruck „ein Jenseits“. Das passt. Wer von „New Society“ spricht – und das ist das Motto des heurigen Donaufestivals –, kommt auch in die Nähe von eschatologischen Visionen, von Predigten über Endzeit und Apokalypse, von der Idee, dass sich die Geschichte auf notwendige Weise „vollenden“ müsse.

Eine Alternative zu einem solchen linearen, zielgerichteten Geschichtsbild – das im Grunde der christlichen Heilsgeschichte folgt –, ist ein zyklisches, wie es etwa Oswald Spengler hochhielt. Oder, freilich auf niedrigerem Niveau, der Filmemacher und „Alt-Right“-Ideologe Steve Bannon, von Jänner bis August 2017 Chefstratege des Weißen Hauses: Er verficht die von William Strauss und Neil How im Buch „The Fourth Turning: An American Prophecy“ aufgestellte Theorie, nach der jede Generation einen Zyklus durchmacht, von einer Krise, die sie überwindet, bis zur nächsten, der sie verfällt. Eine instruktive Ausstellung im Museum Krems stellt Bannons Ideologie vor – und analysiert die simple Metaphorik seiner Filme, von einstürzenden Gebäuden bis zu brennenden Banknoten. Für seine Bildsprache, heißt es, habe er Michael Moores Filme studiert. Ob das Moore, der ja eine ganz andere Geschichtsauffassung predigt, peinlich ist?

Eine Grenzform des inspirierten Predigers ist der besessene Verkünder, der nur mehr Sprachrohr einer heiligen Wahrheit ist – und als solches, eine aufnahmebereite Gemeinde vorausgesetzt, naturgemäß ein perfekter Performer. Diesen unheimlichen Aspekt seiner Kunst untersucht Bully Fae Collins in seiner Performance „Plight Notions With Shandy“: Ein scharfes Messer an den Kopf geschnallt, verkabelt, verstört, offenbar nicht völlig Herr seiner Bewegungen, stürzt er auf die Bühne.

„Haben Sie beide Nieren?“

Er habe Parasiten im Körper, erklärt Collins, das Gesicht grausig verzerrend, er fühle die Energien im Raum. Dann fasst er eine Besucherin ins Auge: „Haben Sie beide Nieren?“, fragt er, „Haben Sie eine Milz?“ Will er ihr die Organe entnehmen, fragt man sich, doch es kommt anders: Die Existenz dieser Innereien werde uns nur vorgegaukelt, in uns sei nur das tiefe Nichts . . . Unterbrochen von kurzen Normalisierungsschüben, geht die psychotische Predigt weiter und weiter: „Ich bin verantwortlich für alle Übel der Welt!“, ruft Collins, und dann, wie so oft bei Soloperformern, wird das Stück zu lang.

Gleichsam die lichte Seite des inspirierten Redens führte Lonnie Holley vor, ein 69-jähriger Sänger aus Alabama mit einer Lebensgeschichte wie eine Legende: Geboren als siebtes von 27 Kindern, wurde er mit vier Jahren in einem Bordell für Whiskey verkauft. Er war Tellerwäscher, Müllsammler, Totengräber, er ist in einem kaputten Amerika aufgewacht, er ist dem Sklavenschiff entkommen, er hat die Abgründe gesehen und das Licht, und all das erzählt er jetzt, zur hypnotischen Musik eines Schlagzeugers und eines Posaunisten, abgeklärt und erregt zugleich, bald kauernd, bald die Arme erhebend, weinend, flehend, predigend. Mächtiger Auftritt, jenseitig im besten Sinn.

In ihren härenen Gewändern wie Nonnen und Mönche einer unbekannten Kirche sahen die Sängerinnen und Sänger aus, die Holly Herndon versammelt hat für ihre von meist schroffer Elektronik begleitete Vokalmusik, verspielt und andächtig zugleich, in den Dissonanzen fromm, in den Harmonien fröhlich. Litaneien einer neuen Gesellschaft?

Donaufestival, zweites Wochenende: 3. bis 5. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2019)

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