Sozialgeld: "Ihr tut so, als trifft es vorwiegend Zuwanderer"

Hartinger-Klein und Rendi-Wagner
Hartinger-Klein und Rendi-WagnerAPA/ROBERT JAEGER
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Die neue Mindestsicherung sei „treffsicher", betont Sozialministerin Hartinger-Klein. SPÖ-Chefin Rendi-Wagner sieht das anders: Den Menschen werde „Sand in die Augen“ gestreut.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger haben die neue Sozialhilfe einmal mehr verteidigt. Das Modell sei "treffsicher" und schaffe Anreize, um Menschen möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess zu bekommen, betonten die beiden in der ORF-Sendung "Im Zentrum“ am Sonntagabend. Naturgemäß anders fiel die Diagnose von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner aus.

Zweck sei künftig nämlich nicht mehr die Armutsverhinderung, argumentierte die SPÖ-Chefin, sondern es gehe lediglich darum, den Menschen "Sand in die Augen" zu streuen. Und zwar "indem ihr so tut, als trifft es vorwiegend Zuwanderer", meinte Rendi-Wagner. Dabei sei ein Drittel der Bezieher Kinder und die Hälfte Österreicher. Weil die Sozialdemokratie nicht nur menschliche und soziale, sondern auch juristische Bedenken gegen das Gesetz hege, werde sie den Verfassungsgerichtshof (VfGH) anrufen.

Vordringlich gehe es dabei um EU-Rechtswidrigkeiten und jene Punkte, welche die Kompetenz der Länder betreffe: "Ihr schiebt die Verantwortung auf die Länder ab." "Bedenklichster Punkt" sei aber die Ungleichbehandlung zwischen Familien mit wenigen und jenen mit mehr Kindern. "Ihr verlasst den Weg des sozialen Ausgleichs und lasst die Menschen zurück", so Rendi-Wagner. 70.000 Kinder würden so in die Armutsfalle gedrängt.

Hartinger-Klein sieht Beschwerden gelassen

Dass der Verfassungsgerichtshof wegen der Causa angerufen wurde, sieht Hartinger-Klein gelassen: "Unsere Verfassungsexperten sagen, dass das Gesetz in Ordnung ist." Ferner sei die Sozialhilfe neu ein Aspekt um Armut zu senken, was die roten Sozialminister in den vergangenen Jahren nicht geschafft hätten. Die Sozialhilfe sei Teil eines Pakets, unter anderem mit Familienbonus und Steuerreform. Nur so könne Armut in Österreich nachhaltig bekämpft werden. "Die Sozialhilfe ist nur ein Modul, aber ein treffsicheres." Sie sei über die kursierenden Falschmeldungen "erschüttert", so die Sozialministerin, wie etwa jene über die Alleinerzieherinnen und Menschen mit Behinderung. Beide Beziehergruppen würden in Wahrheit aber einen Zuschlag erhalten.

Zudem hätten die Länder die Möglichkeit, mit Härtefälleklauseln einzelne Fälle abzufangen. Die Regierung trage die Verantwortung, die Gelder sozial treffsicher zu verteilen, meinte Hartinger-Klein und "mahnte Wertschätzung für die Steuerzahler ein".

Wöginger: "Sprungbrett" in den Arbeitsmarkt 

Die degressiv gestaffelten Kinderzuschläge verteidigte ÖVP-Klubobmann Wöginger. Schließlich müsse man die Familienbeihilfe dazurechnen: "Es geht darum, wie viel eine Bedarfsgemeinschaft insgesamt zur Verfügung hat." Zudem habe man den Ländern einen Wohnzuschlag von bis zu 30 Prozent ermöglicht. Dass dies eine Kann-Bestimmung sei, sei der Tatsache geschuldet, dass es sich um ein Grundsatzgesetz handle. "Unsere sechs Bundesländer (gemeint sind die ÖVP-regierten, Anm.) werden das jedenfalls umsetzten. Überhaupt habe Österreich weltweit die höchsten Sozialleistungen, so Wöginger: "Ich kenne kein anderes Land." Die Sozialhilfe neu sei als "Sprungbrett" in den Arbeitsmarkt gedacht. "Wir können Menschen nicht dauerhaft unterstützen, die nicht arbeiten wollen."

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser betonte wiederum, dass viele Mindestsicherungsempfänger jetzt schon zu wenig zum Leben hätten. "Mindestsicherungsbezieher sind Menschen, die in manifester Armut leben." Für sie stelle ein kaputter Kühlschrank oftmals ein unüberwindbares Problem dar. Durch das neue Modell werde sich die Armut nochmals verstärken. Familien werden weniger haben, denn die Degression bei den Kinderzuschlägen werde den Alleinerzieherinnenbonus wegfressen.

Zudem handle es sich bei letzterem bloß um eine Kann-Bestimmung. Die Frage werde sein, ob ihn auch alle Länder tatsächlich umsetzten. Zudem würden Bedürftige zu Almosenempfängern degradiert, so Moser: "Genau dieses System macht abhängig." Statt Druck bräuchte es positive Anreize, Wertschätzung. Falsch sei jedenfalls, dass immer so getan wird, als wollten diese Menschen nicht arbeiten oder nicht Deutsch lernen. Das neue Modell mache aus der Sozialhilfe ein "sozialdarwinistisches Bewertungs-Camp", so die Kritik. Dabei sollte es bei der Mindestsicherung vielmehr darum gehen, "das Mindeste zu sichern".

(APA)

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