„Salvator Mundi“

Leonardo: Weltenfrauen gegen Weltenretter

Die Revolte beginnt: Leonardo da Vincis frühe „Verkündigung an Maria“, 1473–1475, bricht mit gängigen Darstellungen einer vom Engel Gabriel und seiner Botschaft erschrockenen Maria.
Die Revolte beginnt: Leonardo da Vincis frühe „Verkündigung an Maria“, 1473–1475, bricht mit gängigen Darstellungen einer vom Engel Gabriel und seiner Botschaft erschrockenen Maria. Studio Fotografico Paolo Tosi, Florence]
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Am 2. Mai 1519 starb Leonardo da Vinci auf Schloss Clos Lucé in Amboise. Über seine Bilder wird weiterhin diskutiert, vor allem um den als eigenhändiges Werk versteigerten „Salvator Mundi“. Er ist immer noch verschwunden.

Die Glaskugel des Anstoßes bleibt verschwunden – das 2017 um den Rekordpreis von 450 Mio. Dollar versteigerte Bild „Salvator Mundi“, auf dem Christus eine gläserne Weltenkugel in der Hand hält, sollte im Herbst im Louvre Abu Dhabi ausgestellt werden. Doch das Museum verschob die Präsentation, auf unbestimmte Zeit. Das als „echter“ Leonardo da Vinci vermarktete Bild soll dem Saudi-Kronprinz Mohammed bin Salman gehören, bestätigt wurde das allerdings nie. Der Louvre hat zwar seinerseits bestätigt, dass er „beim Besitzer“ um eine Leihgabe für seine große Leonardo-Schau anlässlich des 500. Todesjahrs diesen Herbst angesucht habe. Nur Antwort habe man bisher keine erhalten.

Ja, gesichert ist überhaupt nicht viel rund um dieses seltsame Bild, das wie kein anderes die Kunstwelt in den letzten zwei Jahren aufgebracht hat. Auch in den beiden interessantesten neuen Leonardo-Publikationen ist es wesentliches Thema. Denn die Eigenhändigkeit wird von Experten stark angezweifelt. Auch vom deutschen Kunsthistoriker Frank Zöllner, der 2003 im Taschen-Verlag das große Werkverzeichnis Leonardos herausgebracht hat. Anlässlich des Todestages wurde es wieder, in ergänzter Fassung, neu aufgelegt. Ergänzt vor allem um eine ausführliche Beleuchtung des „Salvator Mundi“.

Zöllner nimmt ihn zumindest in die Liste der Gemälde auf, die er als Nummer 32 beschließt, hier werden allerdings auch Arbeiten aus der Werkstatt gelistet. Zöllner kommt zu dem Schluss: Der Entwurf des Bildes gehe „zweifellos auf Leonardo zurück“, das würden eigenhändige Studien zum Gewand und weitere Fassungen des Motivs aus Werkstatt und Umfeld belegen. Sehr ungewöhnlich aber sei, dass das Bild weder in zeitgenössischen Dokumenten noch in den frühen Biografien Leonardos explizit erwähnt wurde, so Zöllner. Auch die Besitzverhältnisse sind nur für das 20. Jahrhundert gesichert.

Besonders irritieren Zöllner die „radikalen“ Restaurierungen des schwer beschädigten Bildes, die von 2005 bis 2017 in Vorbereitung der Versteigerung passiert sind. Was dabei genau geschehen sei, sei nur teilweise publiziert, so Zöllner, eine endgültige Beurteilung der Eigenhändigkeit daher nicht möglich. Diese bleibe „problematisch“. Sein Resümee: Das Bild sei ein „hochklassiges, wenn auch stark restauriertes Altmeistergemälde, an dessen Vollendung Leonardo wahrscheinlich selbst beteiligt war“.

So wird Leonardo zur „hohlen Chiffre“

Das sieht Kia Vahland, Kunsthistorikerin und Redakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, strenger. Sie ist eine der größten Kritikerinnen des Deals zwischen Kunstmarkt und Wissenschaft, sieht den „Salvator“ sogar als Gefahr für die Bedeutung des gesamten Werks Leonardos. Durch derlei fragwürdige, inhaltlich ihrer Meinung unter Leonardos Ansprüchen liegenden Zuschreibungen werde es als Ganzes zu einer „hohlen und sehr teuren Chiffre“ herabgewürdigt, seine Errungenschaften in der Kunst verzerrt.

Man kann Vahlands Zorn nachvollziehen, hat man ihre neue, im Suhrkamp Verlag erschienene Leonardo-Biografie gelesen, die mit der Leidenschaft geschrieben wurde, die Experten wie Zöllner manchmal vermissen lassen. Vahland hat dabei einen zeitgenössischen Zugang zu Leben und Werk gewählt, der zuletzt auch andere große Künstlerfiguren wie Gustav Klimt in ein Licht gerückt hat, das uns heute besonders anzuziehen scheint: Vahland erzählt Leonardos Leben anhand seiner Frauenporträts, die dieses Genre revolutioniert haben. Leonardo, der Feminist. Damit setzt sie auch ein symbolisches Zeichen gegen die in der breiten Öffentlichkeit immer noch vorherrschende Wahrnehmung des Malers als Naturwissenschaftler und vor allem Erfinder u. a. von Kriegsgerät: Diese beruht nämlich auf einer großen Leonardo-Ausstellung 1939, mit der Benito Mussolini dem faschistischen Italien seinen martialischen, virilen Nationalkünstler konstruiert hat. Ein schwuler Frauenversteher, der in derlei technischen Fantasien sein Schutzbedürfnis als uneheliches Kind und unverheirateter Mann kompensierte, hätte eindeutig nicht in Mussolinis Konzept gepasst.

Leonardo kultivierte sein Außenseitertum durchaus: Er war Vegetarier, liebte für damalige Zeiten unverhältnismäßig Tiere und Natur, lebte und arbeitete umringt von immer hübschen, jungen Schülern in einer Art Kommune, also Werkstatt. Er war eher emsiger Hipster als nichtsnutziger Dandy. Vor allem aber gab er der Frau erstmals in der Kunstgeschichte das, was ihr damals sowieso, aber auch bis ins 20. Jahrhundert hinein noch abgesprochen wurde: eine Seele.

„Frauen wie Nachttöpfe behandeln“

Vahland führt uns genüsslich vor, was das heißt, wenn Leonardo seine Frauen in freier Natur etwa platziert, nicht in geschlossenen Räumen. Sie erinnert schlicht an damalige Empfehlungen, etwa vom Hausphilosophen Lorenzo de Medicis: Man solle „Frauen wie Nachttöpfe behandeln und nach Gebrauch wegsperren“. Für denselben Herrscher arbeitete auch Leonardo, wurde allerdings nie so geschätzt wie Konkurrent Botticelli. Leonardo aber, so Vahland, „sah Frauen so, wie es ihnen selbst nicht immer möglich war: als freie Menschen voller Bewegungsenergie, als liebesfähige Mütter und Freundinnen, als tiefsinnige Denkerinnen, die um die Kräfte der Natur wissen“. Das belegen Schlüsselbilder wie das erste psychologische Porträt überhaupt, das der Ginevra de'Benci, oder der (schwangeren) Mona Lisa, Leonardos „Weltenfrau“.

Dazu muss man manchmal sehr genau hinsehen, manchmal darf man auch zweifeln, wenn sie schwärmt: „In der Frauenmalerei wird ihm gelingen, Neues zu schaffen wie keinem Künstler zuvor und danach.“ Aber das tut nur gut, man solle, man müsse über Leonardos Werk streiten, schreibt sie. Es funktioniere nur interaktiv. Sonst gerate „die Essenz seines menschenfreundlichen Erbes in Gefahr“, sonst sei er bald nur noch „ein berühmter Mann“, der „immer neue Kunstwerke verpasst bekäme, für die er nichts kann“.

NEUERSCHEINUNGEN

Der Taschen-Verlag gab anlässlich des heurigen 500. Todesjahres das 2003 erschienene Werkverzeichnis Leonardo da Vincis vom deutschen Kunsthistoriker Frank Zöllner neu heraus, ergänzt um die Kontroverse um den „Salvator Mundi“: „Leonardo. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen“, 704 Seiten, 40 Euro.

Im Suhrkamp Verlag erschien Kia Vahlands „Leonardo da Vinci und die Frauen – Eine Künstlerbiografie“, 348 Seiten, 26,80 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2019)

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