Laute Koalitionskritik zur Beruhigung der Genossen

Auf der Bühne: Bürgermeister Ludwig, Spitzenkandidat Schieder und SPÖ-Chefin Rendi- Wagner (v. l.).
Auf der Bühne: Bürgermeister Ludwig, Spitzenkandidat Schieder und SPÖ-Chefin Rendi- Wagner (v. l.).APA/HANS PUNZ
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SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wählte am Rathausplatz ungewöhnlich harte Worte.

Wien. Ein Fenster nach dem anderen öffnete sich, neugierig streckten die Menschen ihre Köpfe raus: Die einen hatten es noch nicht aus dem Bademantel geschafft und beobachteten überrascht das morgendliche Treiben. Die anderen hatten sich das rote Tuch schon vorab zurechtgelegt und begannen eifrig damit zu winken. Der 1. Mai ist in Wien ein rotes Spektakel. Da werden die Nelken angesteckt, die riesigen SPÖ-Fahnen geschwenkt und die Schritte im Takt der Blasmusikkapelle gesetzt. Die Genossen marschierten schon frühmorgens aus ihren Bezirken zum Rathausplatz. Es ist eine alljährliche rote Machtdemonstration. Diesmal sollte es das besonders sein.

„Wir sind der 1. Mai – auch wenn es die anderen noch so sehr versuchen“, hörten die Genossen am Rathausplatz Parteichefin Pamela Rendi-Wagner rufen. Die hatte terminliche Konkurrenz bekommen. Nur wenige hundert Meter weiter, am Ballhausplatz, hatte die Regierung zum Ministerrat geladen und drohte mit der Steuerreform einen Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit abzuzweigen.

Die Aufmerksamkeit der Genossen war der Regierung sicher. Nachdem Rendi-Wagner ihre durch einen Windstoß verblasenen Notizen eingesammelt hatte, begann sie sich in ihrer Rede an Türkis-Blau abzuarbeiten. Die Regierung würde dem Land das soziale Rückgrat brechen. „Sie tun das Wirbel für Wirbel und Knochen für Knochen“, rief sie den (laut SPÖ) 120.000 Besuchern zu. Der soziale Ausgleich würde zertrümmert. Die FPÖ, „die falsche Freundin“ der Arbeitnehmer, reiche der ÖVP dazu „devot den Hammer.“ Deshalb erkenne sie „dieses Land nicht wieder.“

Parteiinterne Kritik an Drozda

Die FPÖ würde von einem Einzelfall zum anderen torkeln. „Der Vizekanzler selbst ist ein permanenter Einzelfall“, rief Rendi-Wagner ins Mikrofon und forderte Heinz-Christian Strache zum Rücktritt auf – ebenso wie die nicht amtsführende Wiener Stadträtin Ursula Stenzel. Die SPÖ-Chefin wählte ungewöhnlich harte Worte bei ihrer ersten Rede am Tag der Arbeit. In den vergangenen sieben Monaten, seit sie die Partei lenkt, ist Rendi-Wagner eher leise und selten in Erscheinung getreten.

Das wurde ihr auch am 1. Mai von so manchem Genossen vorgehalten. „Schluss mit dem Schweigen. Her mit der Opposition“, mahnte die Jugend auf einem großen Plakat, das sie während der Rede der SPÖ–Chefin hochhielt. „Mehr Dampf im Klassenkampf“ lautete ein Slogan, „Zeit für Vermögenssteuern“ ein anderer. Dabei hält Rendi-Wagner den Zeitpunkt dafür nicht für richtig. Für ihre Rede erhielt die Parteichefin dennoch großen Applaus. Die Genossen schienen sie zu unterstützen.

Die parteiinterne Kritik an dem von ihr bestellten Bundesgeschäftsführer, Thomas Drozda, fiel da schon deutlicher aus: „Drozda hast du auf dei Uhr geschaut? Zeit zu gehen!“ oder „Auch auf deiner Rolex ist es 5 vor 12, Genosse!“ war in Anspielung auf Drozdas Vorliebe für teuere Uhren auf so manchen Bannern zu lesen. Die Parteichefin hat das von der Bühne aus beobachtet. Drozda selbst hat sich eher im Hintergrund gehalten.

In den Vordergrund wurde diesmal Andreas Schieder gestellt. Der rote Spitzenkandidat für die EU-Wahl am 26. Mai durfte die Werbetrommel rühren. Er warnte vor den Nationalisten, den „Brandstiftern am gemeinsamen Europa.“ Hier brauche es einen Feuerlöscher. „Und welche Farbe hat der Feuerlöscher?“, fragte er die Genossen. Die raunten zuerst und antworteten bei der wiederholt gestellten Frage dann doch im Chor: „Rot!“ „Danke“, rief Schieder. „Bitte“, hallte es zurück. Da hatte die Veranstaltung schon fast Fußballmatchcharakter.

Ein Match, das gestern tatsächlich ausgetragen wurde, hieß Rot gegen Türkis-Blau bzw. Wien gegen Bund. „Wien steht auf“, rief Bürgermeister Michael Ludwig als Antwort auf die einstige Langschläfer-Anspielung der Regierung in die Menge. Die Regierungsspitze meldete sich wiederum mit einem anderen Vorwurf zu Wort. Es seien beim Maiaufmarsch auch PKK-Aktivisten mitmarschiert. Die Nähe der SPÖ zu einer Organisation, die sich auf der EU-Terrorliste befinde, sei „inakzeptabel“, sagte Kanzler Sebastian Kurz. Das bezeichnete ein SPÖ-Sprecher als „letztklassig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2019)

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