Testessen: Walter Leidenfrost in der Schneiderei

(c) Bernd Grega
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In Leithaprodersdorf kann man sich Haare schneiden lassen und gleich daneben essen. Unter anderem Innereien.

Hinterm Haus Hirn, vorm Haus Kies, Kirchenblick und Abendsonne. Drinnen viel Luftraum und viel Platz zwischen den Holztischen, eine Vielzahl an Dekoobjekten und fermentierte Magnolienblüten im Einmachglas. Vor vier Jahren haben Tamara und Egon Blümel die Schneiderei im burgenländischen Leithaprodersdorf errichtet. Der Friseur und die Köchin werken Seite an Seite in einem Lokalhybrid. Vergleichbares kennt man aus Berliner Hipstervierteln – Rennradreparatur und Third Wave Coffee, Barttrimmen und Paleo-Bowls in trauter Eintracht.

In der Küche der Schneiderei bindet sich nun seit Kurzem auch Walter Leidenfrost eine Blaudruckschürze um: Er kochte davor im Ludwig van, noch früher etwa im Weinhaus Arlt und bei Richard Rauch. Aus dem gemauerten Ofen im Hinterhof zieht er je nach Tageslieferung geschmorte Rehgebeine oder geräucherte Schweinshirne, der Rauch grüßt bis zur Kirche vor. Die molligen kleinen Hirne ergänzt er mit Buchweizen, aufgeschlagenem Hirn, Hanföl und Kapuzinerkresse zu einem Snack, richtet sie auf einem kreisrunden Ölpresskuchen an. Mit der Frage nach etwaigen Vegetariern oder Innereienverweigerern am Tisch hält sich dieser Koch prinzipiell ungern auf.

(c) Schneiderei

Das Frühstück klingt ambitioniert, auf der Weinkarte wird man leicht fündig, die Speisekarte ist klug zusammengestellt, mit rund zehn Gerichten. Dazu kommen eventuell ein paar Dinge, die Leidenfrost gerade einfallen. Wie ein Rehbutterschnitzel mit Liebstöckelpüree. Oder eine Lammkopfsulz mit Haselnussöl und Schnittlauchblüten, mit ihrem prägnanten Fleischaroma ausdrücklich unvegetarisch. Der beste Gang, ein Bild in Rosa-Grün, kommt ohne Fleisch, aber nicht ohne Fisch aus: fast rohe Lachsforellentranchen mit einem unglaublich präzise abgestimmten Sud aus Rhabarber, Orangenblütenwasser, Angostura und Ahornsirup, der Fisch von der Säure des Rhabarbers leicht gegart, darauf ein paar oxalsäuerliche Baumkleeblätter (15,10 Euro). Mit Frühlingssäure spielt Leidenfrost dann auch bei der Beurre Blanc zum Saibling mit weißem Spargel: Die Sauce wird durch Sauerampfersaft dosiert aufgehusst und versetzt Fisch und Gemüse aromatisch noch einmal einen Schub (18,20 bzw. 23,40). Schnecken verarbeitet er zu einem Gulasch, dazu gibt’s Topfenserviettenknödel, Lamm aus der Gegend wird fast rare mit Cime di Rapa und Cedri serviert. Wem das alles nicht behagt: Wimpernfärben und Augenbrauenharzen gibt’s um je 5 Euro.

Info

Schneiderei, Hauptplatz 14, 2443 Leithaprodersdorf, Tel.: (+43)/02255/737 6-20, Küche: Do–Fr: 9–12, 17-21.30, Sa: 9–21.30, So: 9–17 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2019)

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