Obschig und nidschig im Wallis

Hochgebirgskulisse umgibt den traditionellen Walliser Kurort.
Hochgebirgskulisse umgibt den traditionellen Walliser Kurort.(c) Klaudia Blasl
  • Drucken

Genusswanderungen mit Panoramablick, wildwüchsige Kräuterraritäten und eidgenössische Gebirgskutteln machen den Thermalkurort Leukerbad zu einem kulinarischen Abenteuer.

Dass es die Eidgenossen im Frühtau zu Berge zieht, ist bekannt. Aber in Leukerbad, einem für seine Thermalquellen, James Baldwin und die Höhenlage bekannten Ort in der Südwestschweiz, wandern Einheimische wie Urlauber auch mit Menükarte und Weinglas in der Hand. Etwa bei einer kulinarischen Thermalquellwanderung, die eher einem Genussmarathon gleicht. Zehn Labestationen sorgen dafür, dass Bauch- und Wadenmuskeln gleichermaßen trainiert werden.

Los geht's im Restaurant Weidestübli, wo morgendlichen Gourmettourengehern statt Butter aufs Brot Vitello tonnato mit Thunfisch-Espuma auf die Frühstücksbrettchen geschmiert wird. Während überall „en guete“ erklingt, hat der Wirt, Severin Collenburg, bereits Weinflaschen auf den Tisch gestellt. Für den Einstand sorgt ein leichter Weißer aus dem nahen Ort Varen. Der Ermitage Cave du Chevalier Bayard bringt mit seiner samtigen Note nicht nur die Gaumen zum Singen, er schmiert auch die Gelenke für die folgenden Etappen. Ganz nach dem Motto „obschig und nidschig“, rauf und runter, verläuft die Route, flankiert von Weinen der Region.

Vorüber an der St.-Laurent-Quelle, der pro Minute 900 Liter heißes Wasser entspringen, vorbei an der Bergerweid und dem alten Werimüru (Lawinenschutzmauer). Gestärkt von zartem Forellenfilet, knusprigem Fingerfood, cremiger Haselnusspolenta, Walliser Eglifilets und Schweinshals mit Wildkräutern, naht das Alpinkriterium für volle Bäuche: die Dala-Schlucht. Während die letzten Genießer noch auf der Sonnenterrasse sitzen, gegen das Verdauungskoma ankämpfen oder sich für das einzigartige – und einzige – Leukerbader Craft Beer, das Sud 51, erwärmen, schwanken die Einheimischen bereits über die Hängebrücke der Dala. Schuld daran trägt aber weniger der Alkohol zu früher Stunde, als die 21 Meter lange Metallkonstruktion, die – kaum hat man einen Fuß darauf gesetzt – unweigerlich zu schwingen beginnt. Ein zuverlässiger Weg, um Adrenalin und Angstschweiß in beachtlichen Mengen zu produzieren, während man zusehends in eine Art Seekrankheit verfällt. „Tiät nä mottu“, schnell, bewegt euch, ruft der Führer, der bereits die steilen – und gleichfalls recht hängenden – Treppen erklimmt, nach unten.

Er hat recht: Augen zu und drüber ist weniger schlimm als stehen bleiben und verzweifeln. Immerhin locken nach diesem Aufstieg beste Aussichten auf die Leukerbader Gebirgskulisse und ein saftiges Rinderfilet von der Eringer Kampfkuh. Aber keine Angst. Liegen diese erst in der Pfanne, sind sie völlig harmlos. Und unglaublich gut. Vor allem, wenn sie – wie im Hotel Römerhof – auf Trüffeljus serviert werden.

Nahezu hurtig geht es bergab. Vornweg wandern ein paar ansäßige Winzer mit dem Weinglas in der Hand, hinten schlurfen die Smartphone-Junkies nach, die sich nicht satt knipsen können an den landschaftlichen Reizen ringsum. Urige Steinhäuser, Schafherden auf dem Gemmipass, frei laufende Kühe mit imposanten Hörnern, Wiesen voller Enzian und schroffe Felswände verschmelzen zu einem bilderbuchartigen Ganzen.

Doch die Zeit drängt, in der Chinchillabar drunten im Ort schlichtet Ricco Nachtweih bereits den Alpengorgonzola auf schwarze Focaccia, während Gattin Silvia den Assemblage Rouge von Varonier dekantiert. Himmlische Genüsse, denen man einfach nicht widerstehen kann, Essen ist eben ein sündiges Geschäft, zumindest im Walliser Hochland.

Kutteln, Röschti, Heilkräuter

Beruhigenderweise sind die Wege in und um Leukerbad alle mehr oder weniger steil, weshalb die Fettzellen sich nicht so gut am Bauch anklammern können, denn vor Verführungen ist man hier nirgendwo gefeit. Vom Raclette beim Grichting bis zur eidgenössischen Kutteleuphorie im Hotel Alpina, wo der Louis seit 38 Jahren diese Spezialität zubereitet. Bereits zum ersten Hahnenschrei werden Pansenstreifen mit Lorbeer, Thymian, Pfeffer und einer geheimen Essenz gewürzt, in einem Sud aus Rot- und Weißwein gegart und in brauner Sauce mit Röschti serviert. Dabei verleihen die hochalpinen Kräuter diesem eher einfachen Gericht Würze. Zwischen Supermarkt und Glashaus oder 1402 Metern Höhe liegt halt ein gewaltiger geschmacklicher Unterschied.

Den macht man sich auch im benachbarten Albinen zunutze. Dieses 240-Seelen-Dorf wirkt, als wäre es aus Raum und Zeit gefallen. Uralte, liebevoll restaurierte Holzhäuser, steile, mit Bachsteinen gepflasterte Wege, eine Brotbackstube, ein Gasthof namens Godswärgjistube (Godswärgji sind kleine, haarige Kobolde mit magischen Kräften, die in den Walliser Bergen leben), ein paar Hühner und Katzen, die in der Mittagssonne dösen, und eine Heilkräuterschule. Die Zürcher Thomas Pfister und Fides auf der Maur haben sich hier ihren botanischen Traum erfüllt und kultivieren auf 1500 m?mehr als 200 Blumen und Heilkräuter. Nimmt man auf dieser Sonnenterrasse Platz, liegt ein derart starker Duft in der Luft, dass er einem beinahe die atemberaubende Sicht auf das tief unten liegende Rhonetal vernebelt.

Auf den Trockensteintreppen räkeln sich ein paar Häärleischji (Zauneidechsen), die bunte Blütenvielfalt wird von einer ebensolchen an Pfyfoltrus (Schmetterlingen) umschwärmt und Pfister rupft und zupft mit Kennerblick an den heilsamen Pflanzen herum. Diese werden verkocht und zu Salben gerüht, enden als Tinkturen, Kosmetika, Raumduft, in der Bratwurst oder als Räucheressenz. Und Pfister kann zu jedem Gewächs spannende wie lehrreiche Geschichten erzählen. Auf Wunsch kann man auch mit ihm gemeinsam kochen oder sein Wissen in der Kräuterwerkstätte perfektionieren. In dieser eher abgeschiedenen Gegend schlagen die Herzen ja generell für alte Traditionen und Kulturgüter.

Getreide und giftige Begleiter

Im nahe gelegenen Sortengarten Erschmatt etwa hat man sich urwüchsigen Getreidesorten verschrieben. Auf den steinigen, hoch gelegenen Äckern gedeihen neben Sommerroggen, Kolbenhirse, Binkel, Buchweizen, Emmer, Gerste oder Gartenmelde seltene Begleitpflanzen wie Kornrade, Hasenohr, Walch oder Muskatellersalbei. Wobei ein derart naturnaher Ackerbau viel Kenntnis erfordert, denn einige dieser dekorativen Gewächse sind zwar gut fürs Auge, aber schlecht für die Gesundheit, Konraden oder Stechäpfel sogar hochgradig giftig, wobei über deren Wirkungen und Nebenwirkungen Roni Vonmoos-Schaub oder Thomas Pfister einen ausführlich aufklären. Im köstlichen Essen, das das Bistro auf der Maur serviert, finden sich garantiert nur beste Ingredienzen. Hier kann man guten Gewissens über die Stränge schlagen und sich danach so manches aromatische Souvenir im Laden der Heilkräuterschule in den Rucksack stopfen. Für die Unersättlichen oder Daheimgebliebenen.

IN UND UM LEUKERBAD

Thermalquellenwandern: 20. Juli

Essen: Weidstübli: info@weidstueblli.ch; Godswaergjistubu: www.godswaergjistubu.ch; Chinchilla-Bar: www.chinchillbar.ch

Wohnen: Hotel Alpina: www.alpina-leukerbad.ch

Anschauen: Heilkräuterschule Albinen: www.heilkraeuterschule.ch; Sortengarten Erschmatt: getreide@sortengarten.ch

Info: www.leukerbad.ch, www.myswitzerland.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.