Der britische Historiker und Russland-Experte Orlando Figes macht sich Sorgen: Im rechten politischen Lager ortet er Rassismus und Nationalismus, im linken Intoleranz und Kritikunfähigkeit. Dennoch hofft er weiter auf die Kraft der Vernunft und des Internationalismus. Als einen Grund für den Brexit diagnostiziert er den „post-imperialen Kater“ Großbritanniens.
In Ihren Büchern über die Geschichte Russlands haben Sie den Menschen eine Stimme verliehen. Was lernen wir, wenn wir Geschichte aus dieser persönlichen Perspektive erzählen?
Orlando Figes: Es ist wichtig, Geschichte nicht nur als Abfolge von Ereignissen zu begreifen, sondern auch in ihrer individuellen Erfahrung. Was die Menschen aus Ereignissen machen, wie sie damit umgehen, welche Position sie wählen, wie sie im Nachhinein verstehen, was eine Gesellschaft getan hat, deren Teil sie waren. Ich bemühe mich immer, Geschichte in einer Form zu schreiben, die auch ihre emotionelle Bedeutung darstellt, nicht nur Kausalität, objektive historische Kräfte und anonyme Kollektive.