Israel: Gewalteskalation vor Song Contest

Palästinenser am Strand von Gaza blicken auf Explosionen, die durch israelische Bombardements provoziert wurden.
Palästinenser am Strand von Gaza blicken auf Explosionen, die durch israelische Bombardements provoziert wurden.(c) APA/AFP/SAMI AL-SULTAN
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Gut eine Woche vor dem Wettbewerb in Tel Aviv starben mehrere Menschen durch Raketen und Bombardements. Israel setzt auf Härte, Islamisten drohen mit Anschlag auf Großstadt.

Jerusalem. Zehn Tage vor Beginn des Eurovision Song Contest in Tel Aviv droht eine gefährliche Eskalation im Gazastreifen: Drei Israelis und mindestens acht Palästinenser, darunter eine schwangere Frau und ein 14 Monate altes Baby, kamen bis Sonntagnachmittag zu Tode. Israel wies die Verantwortung für den Tod von Mutter und Kind zurück. Die beiden seien von einer fehlgeleiteten Rakete der Hamas getötet worden, hieß es.

Erstmals seit dem Krieg vor fünf Jahren bombardierte Israels Luftwaffe gezielt einen Hamas-Funktionär im Gazastreifen. Zuvor hatte Israels Luftwaffe über 250 Ziele im Gazastreifen angegriffen und einen Tunnel gesprengt, der offenbar von der radikalen Gruppe Islamischer Jihad angelegt worden war. Israel reagierte damit auf mehrere Hundert Raketen aus dem Gazastreifen, die seit Freitag auf israelische Ortschaften gefeuert wurden. Premier Benjamin Netanjahu ordnete weitere Vergeltungsaktionen an. Er habe die Armee angewiesen, ihre „massiven Angriffe auf Terrorziele im Gazastreifen“ aufrechtzuerhalten. Überdies sollten Truppen rund um den Gazastreifen „mit Panzern sowie Truppen von Artillerie und Infanterie“ verstärken. Militärsprecher Ronen Manelis rechnet damit, dass der Schlagabtausch noch „mehrere Tage“ andauern wird. Schulen im Süden Israels sowie die Ben-Gurion-Universität in Beerschewa blieben geschlossen.

„Wir leiden, und sie singen“

Die Angriffe aus dem Gazastreifen stehen offenbar im Zusammenhang mit dem Song Contest: „Es kann nicht sein, dass sie singen und es guthaben, während wir leiden“, zitiert die Zeitung „Haaretz“ eine politische Quelle der Hamas. Israel verzögere eine Umsetzung von Versprechen, die Anfang April vereinbart worden seien: „Sie wollten Ruhe vor den Wahlen haben.“ Man könne jedoch keine Ruhe erwarten, „wenn sich an unserer Lage nichts verändert“. Siad al-Nakhalah, Generalsekretär des Islamischen Jihad, kündigte einen Angriff auf Israels „größte Städte“ an. Mit aller Macht und „ohne rote Linien“ wollen die Islamisten auf „jeden Versuch, unserem Volk zu schaden“, reagieren.

Seit gut einem Jahr kommt es in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu Raketen- und Luftangriffen, die wie nach vorgegebenem Muster stets gleich ablaufen: Einmal ist eine misslungene Militäroperation, einmal sind Schüsse auf israelische Soldaten Auslöser für die Angriffe mit Kassamraketen, Mörsergranaten und umgekehrt Bombardierungen der Luftwaffe.

Netanjahu wird von Koalitionspartnern und der Opposition dafür kritisiert, dass er das Problem falsch handhabt, obschon keiner eine Lösung weiß. Die EU ist schockiert, UN-Gesandter Nikolaj Mladenow und Ägyptens Geheimdienst vermitteln, man werde sich irgendwie einig, denn keine Seite will einen weiteren Krieg – bis zum nächsten Schlagabtausch.

Zu den von Ägypten vermittelten Abmachungen von April gehörten Erleichterungen für die Warenlieferung, die Erweiterung der Fischereizone auf 27 Kilometer sowie Israels Zusage, Hilfszahlungen aus Katar in der Höhe von 30 Millionen Dollar monatlich zuzulassen. Der Transfer der Gelder verzögerte sich offenbar. Die Hamas, die die zwei Millionen Menschen im Gazastreifen mit harter Hand kontrolliert, gerät in zunehmende Zahlungsnot, seit die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter der Führung von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas die Gehälter einiger Zigtausend Fatah-naher Beamter sowie Gelder für öffentliche Institutionen reduziert hat. Außerdem strichen die USA projektgebundene Hilfsgelder und die Zahlungen Washingtons an die UNRWA, das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge.

Die israelische Armee hielt am Sonntag den Grenzübergang für den Personenverkehr Erez infolge der Unruhen geschlossen und stoppte mit Ausnahme von Treibstoff auch die Warenlieferungen in den belagerten Küstenstreifen. In Ägypten verhandeln Vertreter der Hamas über die Konditionen eines Waffenstillstands.

Die türkische Regierung machte Israel für den Schlagabtausch verantwortlich und kritisierte die „nicht differenzierten Angriffe Israels im Gazastreifen“, die zum Tod und zu Verletzungen „vieler unschuldiger Menschen führten“. Umgekehrt solidarisierte sich die Regierung in Washington mit Israel und betonte das „Recht zur Selbstverteidigung gegen diese abscheulichen Attacken“ aus dem Gazastreifen. Die EU forderte eine dringende „Deeskalation dieser gefährlichen Situation“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2019)

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