Norbert Steger übt als Aufsichtsrat öffentlich Kritik am ORF und schadet so dem Ansehen des Unternehmens.
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Der Vorsitzende des Stiftungsrates des ORF, der dem „ZiB2“-Moderator Armin Wolf wegen dessen Befragung des freiheitlichen Spitzenkandidaten zur EU-Wahl Harald Vilimsky ein Sabbatical nahelegt statt Drohungen und Forderungen des Interviewten zurückzuweisen, liefert ein Musterbeispiel dafür, wie gleichgültig sich Vertreter der selbsternannten Law and Order-Partei FPÖ über die rechtlichen Grundlagen für ihr Handeln hinwegsetzen. Der frühere Vizekanzler Norbert Steger wurde auf Vorschlag der FPÖ Mitglied des Stiftungsrates im ORF und ist seit 2018 dessen Vorsitzender. Nach der (mit der Stimme Stegers erfolgten) Wiederwahl des Generaldirektors Alexander Wrabetz im Jahr 2011 hatte Vilimsky die FPÖ durch Steger nicht optimal vertreten gesehen, und mit seiner Kritik zum Ausdruck gebracht, dass Stiftungsräte politische Parteien und nicht den ORF zu vertreten hätten. Steger hat wenig später angekündigt, er werde künftig wichtige ORF-Belange immer direkt mit Strache besprechen.
Gemäß § 20 Abs 2 ORF-Gesetz haben die Mitglieder des Stiftungsrates dieselbe Sorgfaltspflicht wie Aufsichtsratsmitglieder einer AG. Dieser Maßstab gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Gleichstellung des ORF mit einer Aktiengesellschaft in mehrfacher Hinsicht problematisch ist. Auch aus diesem Grund hat der Stiftungsrat in § 14 Abs 6 der von ihm beschlossenen Geschäftsordnung festgelegt, dass die Mitglieder des Stiftungsrates im Kontakt mit der Öffentlichkeit und den Medien darauf zu achten haben, dass Nachteile für das Ansehen des ORF und seine wirtschaftlichen Interessen vermieden werden.
Diese Bestimmung ist dem Vorsitzenden des Stiftungsrates völlig egal, wenn er durch öffentliche Kritik an einem der profiliertesten Mitarbeiter Nachteile für das Ansehen des Unternehmens verursacht. Der Verweis auf den Sorgfaltsmaßstab von Aufsichtsratsmitgliedern einer AG bedeutet, dass die Mitglieder des Stiftungsrates bei ihrer Tätigkeit das Wohl des Unternehmens zu beachten haben. Auch diese Verpflichtung wurde durch Steger missachtet, auch dafür sind keine Konsequenzen zu erwarten, weil nur die Mehrheit der Mitglieder des Stiftungsrates diese ziehen könnte. Die Einhaltung des öffentlich rechtlichen Kernauftrags (§ 4 ORF-G) kann der Stiftungsrat in seinen Sitzungen etwa aufgrund der ihm übertragenen Aufgaben der Überwachung der Geschäftsführung und der Beratung von grundsätzlichen Problemen des Rundfunks und seiner Programmgestaltung (§ 21 Abs 1 Z 1 und 12 ORF-G) überwachen. Dass eine öffentliche Kritik des Vorsitzenden des Stiftungsrates nicht dem Wohl des Unternehmens und den Interessen der Mitarbeiter dient, ist offenkundig.
Warum die FPÖ nicht den gesetzlich vorgesehenen Weg bei behaupteten Rechtsverletzungen durch den ORF (Beschwerde gemäß § 61 ORF-G an die KommAustria als Rechtsaufsichtsbehörde über den ORF) beschreitet, hat Armin Wolf bereits klargestellt. Die Beschwerde hätte keine Aussicht auf Erfolg, weil das Gesetz nicht verletzt wurde. Weil sich die Law and Order Partei damit aber nicht abfinden kann, verletzt der von ihr entsendete Vorsitzende des Stiftungsrates seinerseits zugunsten der politischen Botschaft, dass kritische Fragen nicht erwünscht sind, mit dem Ziel der Schwächung des ORF die für ihn geltenden Regeln.
Dass die FPÖ gerne rechtsfreie Räume schafft, um darin das Recht des lauter Brüllenden durchzusetzen, ist bekannt und wenig überraschend. Beunruhigend ist vielmehr, dass in der ÖVP die Geringschätzung des Rechtsstaates zugunsten des kurzfristigen Wahlerfolges in Kauf genommen wird.
Dr. Wilfried Embacher ist Rechtsanwalt in Wien und spezialisiert auf Asylrecht. Er war bis 2017 ORF-Stiftungsrat für die Grünen.
Die Geschäftsordnung des Stiftungsrates ist abrufbar unter: der.orf.at/unternehmen/gremien/stiftungsrat
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2019)