Putins unfreundlicher Empfang für den neuen Mann in Kiew

Wer erwartet hatte, dass Präsident Wladimir Putin seinem neuen Gegenüber in Kiew eine gewisse Schonfrist einräumen würde, sah sich sofort eines Besseren belehrt.
Wer erwartet hatte, dass Präsident Wladimir Putin seinem neuen Gegenüber in Kiew eine gewisse Schonfrist einräumen würde, sah sich sofort eines Besseren belehrt. (c) APA/AFP/SPUTNIK/ALEXEI DRUZHININ
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Wolodymyr Selenskij hat sein Amt als Staatspräsident der Ukraine noch gar nicht angetreten, da weht ihm aus Russland schon ein eisiger Wind entgegen.

Wenn der politische Senkrechtstarter Wolodymyr Selenskij Ende Mai sein Amt als neuer ukrainischer Präsident antreten wird, muss er mit scharfem Gegenwind aus drei Richtungen rechnen: aus der Rada, dem Parlament in Kiew, in dem er bis jetzt keine Hausmacht hat, aber mit einer großen Zahl an eifersüchtig ihre Privilegien verteidigenden Abgeordneten konfrontiert ist. Freilich könnte sich dieses Problem nach der Parlamentswahl im Herbst entspannen. Sodann sind da die Oligarchen, von denen die meisten die jeweiligen Machtwechsel gut überstanden haben, zumal sie solche Wechsel aus dem Hintergrund immer wieder mitorchestriert haben. Es ist noch unklar, wie sich Selenskij gegenüber den Begehrlichkeiten dieser Oligarchen verhalten wird. Sein Naheverhältnis zu einem von ihnen, Ihor Kolomojskij, wird von der ukrainischen Öffentlichkeit scharf observiert werden.

Und dann ist da der eisige Gegenwind aus Russland. Wer erwartet hatte, dass Präsident Wladimir Putin seinem neuen Gegenüber in Kiew eine gewisse Schonfrist einräumen würde, sah sich sofort eines Besseren belehrt. Noch vor dem Wahltag verbot Moskau den Export von Erdöl und Erdölprodukten in die Ukraine. Selenskijs Wahlsieg war gerade drei Tage her, da unterzeichnete Putin einen Erlass, der es Bewohnern der abtrünnigen ostukrainischen Regionen Donezk und Lugansk ermöglicht, im Eilverfahren die russische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Das erinnerte fatal an das russische Vorgehen in den georgischen Separatistenregionen Abchasien und Südossetien, wo Putin auch Reisepässe verteilen ließ, um dann den neuen russischen Bürgern militärisch zu Hilfe eilen zu können und die Regionen de facto zu annektieren.

Kurz danach dachte Putin bei einer Pressekonferenz in Peking auch noch laut darüber nach, allen Ukrainern die Gewährung der russischen Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Dabei muss Putin wissen, dass die Masse der ukrainischen Bevölkerung den Russen die gewaltsame Annexion der Krim und die verdeckte militärische Intervention in der Ostukraine nicht vergessen und nicht verzeihen wird. Dazu kommt noch, dass man mit einem ukrainischen Pass in mehr Länder der Welt visumfrei einreisen kann als mit einem russischen. Also ging Putin noch weiter und schlug vor einer Woche eine „gemeinsame Staatsbürgerschaft Russlands und der Ukraine“ vor. Schließlich seien Russen und Ukrainer „Brudervölker“.

Was aber treibt Putin dazu, dass er den künftigen Präsidenten des Nachbarlandes statt mit der üblichen Gratulation zum Wahlerfolg mit Provokationen begrüßt? Warum zündelt er sogleich, anstatt zunächst auszuloten, wie ernst es der neue Mann in Kiew mit seiner Ansage meint, ein geordnetes Verhältnis zu Moskau zu suchen? Glaubt Putin, er muss Selenskij sofort unter Druck setzen, damit er später einmal nach seiner Pfeife tanzen wird? Meint er, mit seiner großen, langjährigen Erfahrung einen Politikneuling übertölpeln zu müssen?


Die Reaktionen Selenskijs auf die Unfreundlichkeiten aus Moskau fielen überraschend professionell aus: Als „brüderlich“ könnten Beziehungen wohl kaum bezeichnet werden, wenn Moskau Schritte setze wie zuletzt. Besonders geärgert haben dürfte Putin aber, als Selenskij das russische Passangebot für Ukrainer kommentierte: „Die angebotene russische Staatsbürgerschaft bedeutet in der Praxis das Recht, bei friedlichen Protesten verhaftet zu werden; sie bedeutet das Recht, keine freien und kompetitiven Wahlen zu haben.“ Und Selenskij bot all jenen die ukrainische Staatsbürgerschaft an, die unter autoritären und korrupten Regimen zu leiden hätten. „Das betrifft in erster Linie Russen, die heute vielleicht mehr leiden als irgendjemand sonst.“

Die Ukraine-Wahl hat der Welt gezeigt, dass auch in Osteuropa ein geordneter Wechsel an der Staatsspitze möglich ist und dass die Bürger dem Unmut über ihre politischen Vertreter bei freien und fairen Wahlen Luft machen können. Das ist die für das Putin-Regime potenziell so brandgefährliche Botschaft aus Kiew. Genau deshalb wird Putin sich noch mehr einfallen lassen, um die Ukraine und ihren neuen Präsidenten zu diskreditieren und zu destabilisieren.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2019)

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