„Der Gast“: Der Fremde sitzt nackt im Garten

Stummes Turteln am dreckigen Pool: Der titelgebende Gast (Mehmet Sözer) verzaubert die unbefriedigten Bewohner einer verwahrlosten Villa.
Stummes Turteln am dreckigen Pool: Der titelgebende Gast (Mehmet Sözer) verzaubert die unbefriedigten Bewohner einer verwahrlosten Villa.(c) Allahyari
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Im mystisch überhöhten Drama „Der Gast“ von Houchang Allahyari bringt ein geheimnisvoller junger Mann das Leben einer großbürgerlichen Familie durcheinander.

Da sitzt er nackt im Baum und lässt die Beine baumeln über dem laubbedeckten Pool, in dem schon lange keiner mehr einen Kescher angesetzt hat: eine reine, unschuldige Seele im verwahrlosten Paradies. An Symbolik hat „Der Gast“, ein Film des österreichischen Psychiaters und Regisseurs Houchang Allahyari, den dieser nun im Eigenverleih in die Kinos bringt, viel zu bieten, es beginnt schon mit der Titelfigur: ein namenloser, sprachloser junger Mann, ohne Vergangenheit und ohne Agenda, der plötzlich am herrschaftlichen Anwesen einer großbürgerlichen Wiener Familie auftaucht und dort sein gütiges Lächeln verteilt, erotisch bezirzt, vorurteilsfrei freundlich zu allen ist, aber auch unverbindlich – und der damit allen genau das zu geben scheint, was sie brauchen, sei es Trost, eine fesche Ablenkung, einen Sündenbock, oder eine göttliche Erscheinung: „Er ist gekommen, um uns zu retten!“, wird die tiefkatholische Hausangestellte am Ende sagen, mit entrücktem, seligen Grinsen.

Es ist ein spannendes Motiv, an dem sich Allahyari da abarbeitet: Das „Fremde“ als Projektionsfläche, das Menschen fasziniert, aber, wenn es nicht mehr ihren Erwartungen entspricht, auch das Böseste in ihnen hervorkehren kann. Dieser Gast, engelhaft gespielt vom Wiener Schauspieler Mehmet Sözer, hat keine Biografie, mit Flüchtlingen in Verbindung gebracht wird er von den anderen Filmfiguren. Eine deutliche Botschaft schwingt trotzdem mit – in einer Szene schwenkt die Kamera etwa auf einen Graffitischriftzug: „Kein Mensch ist illegal.“

Mit Sarkissova, Bloéb, Mangold

So realitätsbezogen dieser Appell ist, so sehr bemüht sich Allahyari, seinem Film die Bodenhaftung zu nehmen und ihn mystisch aufzuladen. In schönen schwarz-weißen Bildern werden also Figuren gezeigt, die mehr überhöhte Typen als echte Menschen sind. Die Mutter, eine verletzte und daher depressive Ballerina (Karina Sarkissova), die teilnahmslos am Fenster steht, die erwachsene Tochter, die wie ein gelangweiltes Kind im Garten herumschleicht. Der Vater (Gregor Bloéb), der „Herr Staatssekretär“, der als einziger der Familie eine Tagesbeschäftigung hat, und der nur dann Wärme zeigt, wenn sein seit einer missglückten Gehirnoperation schwer behinderter Sohn Fortschritte macht. Das passiert oft, seit der Gast im Haus ist, auf wundersame Weise bereichert er das Leben aller. Doch die grantige, manipulative Großmutter (Erni Mangold) tut alles, um den Fremden loszuwerden.

Die Folgen sind so drastisch, dass sie dem ohnehin massiv verkünstelten Film auch die letzte Glaubwürdigkeit nehmen. Gestelztes, holpriges Schauspiel nicht nur in den Nebenrollen und überbeanspruchte Bilder tun ihr Übriges: Die Dienstleute, die irgendwie ständig Einkäufe in die Küche tragen, der schwitzende Gartenarbeiter, dem ein Mädchen mit ihrem Taschentuch die Stirn abtupft, und immer wieder ein gequältes Gesicht hinter einer Fensterscheibe.

Berührender ist da der Moment, in dem der Staatssekretär mit dem Gast rauft, nachdem er ihn von einem Polizeiverhör („Passport? Ausweis? Wo kommen Sie her?“) abholen musste – zwei Buben, die sich abwatschen und in derselben Bewegung umarmen. Mit einer Zärtlichkeit! In einem mit plumper Symbolik derartig überfrachteten Film geht diese aber ziemlich unter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2019)

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