Börsen brauchten eine Abkühlung, Donald Trump hat sie gebracht

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Der US-Präsident hat die überhitzten Märkte auf den Boden der Realität zurückgeholt. Vor einem Crash muss man sich noch lang nicht fürchten.

So schön ist es im ersten Jahresdrittel gelaufen. Waren die Börsen nach dem Absturz im Dezember noch vorsichtig in das neue Jahr gestartet, hatte sich zuletzt Sorglosigkeit breitgemacht. Rezessionsängste? Harter Brexit? Handelsstreit? All das war kein Thema mehr, wie die Volatilitätsindizes zeigen, die auch Angstbarometer genannt werden. Der für die Wall Street relevante VIX-Index etwa, der im Dezember auf über 35 Punkte geschnellt war, war heuer sukzessive immer tiefer gefallen und erreichte vorige Woche ein Niveau von nur noch zwölf Zählern.

Die Aktienkurse haben sich kräftig erholt, einige US-Indizes – wie der technologielastige Nasdaq 100 oder der breit gefasste S&P 500 – haben neue Allzeithochs erreicht. Es mehrten sich die Anzeichen, dass die Rezession, vor der sich im Dezember alle fürchteten, diesmal ausbleiben könnte. US-Unternehmen präsentierten unerwartet gute Zahlen für das erste Quartal. Rückenwind kam auch von den Notenbanken, die überraschend andeuteten, ihre Zinsen doch nicht weiter erhöhen (USA) oder mit Zinserhöhungen gar nicht erst anfangen zu wollen (Eurozone). Zugleich ist die Gefahr eines Hard Brexit vorerst gebannt, sie dürfte zumindest in den nächsten Monaten nicht schlagend werden.

Die guten Nachrichten sind noch längst nicht abgerissen, auch gestern, Montag, gab es eine: Das Sentix-Barometer, das die Stimmung der Investoren in der Eurozone misst, ist von minus 0,3 auf plus 5,3 Punkte im Mai gestiegen. Das ist der dritte Anstieg in Folge und zugleich der höchste Stand seit November 2018. Damit dürfte die Rezessionsgefahr gebannt sein, meinten die Sentix-Experten.

An den schwelenden Handelskonflikt hatte kaum noch jemand gedacht, er passte einfach nicht in das schöne Umfeld. Die Anleger rechneten lieber damit, dass seine Beilegung nur noch eine Frage der Zeit sein würde.

Und jetzt hat Donald Trump mit ein paar Tweets das Idyll ins Wanken gebracht. Auf die Ankündigung des US-Präsidenten, im Handelsstreit mit China die Sonderzölle von bisher zehn auf 25 Prozent anzuheben, haben die Märkte äußerst nervös reagiert. Nach unten ging es vor allem in Asien, aber auch in Europa. Dabei trennten sich die Anleger auch von chinesischen Unternehmen, die von Zöllen kaum betroffen wären, etwa von den IT-Unternehmen Tencent und Alibaba. Die Angst ist zurückgekehrt. Gestern sprang der Angstindikator VIX von 13 auf 19 Punkte.

Keine Frage: Ein Scheitern der Handelsgespräche und eine Spirale aus Strafzöllen und Gegenmaßnahmen wären eine Katastrophe für die Weltwirtschaft, auch für Europa. Allen voran für die deutschen Autohersteller, deren Kurse am Montag besonders stark ins Rutschen geraten sind. Doch scheint ein solches endgültiges Scheitern der Verhandlungen vorerst vom Tisch zu sein. Zunächst hat es geheißen, Peking erwäge, die Gespräche abzubrechen. Nun will China aber die Verhandlungen diese Woche fortsetzen.

Letztlich hat auch Trump kein Interesse an einem Scheitern der Verhandlungen ein Jahr vor der Wahl. Höhere Zölle auf chinesische Importgüter brächten Verteuerungen für US-Konsumenten. Und dass die Chinesen Soja aus Brasilien statt aus den USA beziehen, schadet nicht nur dem Regenwald, sondern auch den US-Landwirten, einer wichtigen Wählergruppe von Trump.

Es hat sich also nicht so viel geändert. Der Handelsstreit ist noch nicht beigelegt (was zuletzt in Vergessenheit geraten ist), er ist aber auch nicht eskaliert (was am Montag einige zu fürchten schienen). Der Konjunkturzyklus ist schon weit fortgeschritten, doch das heißt nicht zwingend, dass er schon bald endet. Konjunkturzyklen sterben nicht an Altersschwäche, wie es heißt.

An den Börsen werden weiter Phasen der Angst und Phasen der Sorglosigkeit einander ablösen. Geht es zu stark in Richtung Sorglosigkeit, droht ein unangenehmes Erwachen. Doch dieses Risiko ist jetzt kleiner geworden, da Donald Trump ungewollt Luft aus den überhitzten Börsen herausgelassen hat.

E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2019)

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