Die Bürgermeister-Wahl in Istanbul muss wiederholt werden. Kurzzeit-Bürgermeister Imamoglu spricht von "Verrat". Österreichs Kanzler Kurz fordert einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen.
Mit der Annullierung der Bürgermeisterwahl vom März in Istanbul und der angeordneten Wiederholung hat die türkische Wahlkommission wütende Proteste der Opposition ausgelöst. Die Behörde hatte am Montag einer Beschwerde der Regierungspartei AKP unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan wegen angeblicher "Regelwidrigkeiten" stattgegeben. Die Bürger der Bosporus-Stadt sollen nun am 23. Juni erneut wählen.
Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Ekrem Imamoglu, hatte die Kommunalwahl in Istanbul am 31. März knapp vor Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim gewonnen. Die Wahlbehörde erklärte Imamoglu trotz zahlreicher Einsprüche der AKP im April zum Bürgermeister. Allerdings wird ihm das Mandat nun wieder aberkannt.
Erdoğan spricht von „organisierter Korruption"
Erdoğan hat die Entscheidung der Wahlbehörde am Dienstag als "wichtigen Schritt zur Stärkung unserer Demokratie" begrüßt. Zugleich verteidigte er den Antrag auf Wiederholung seiner Regierungspartei AKP. "Wir glauben aufrichtig daran, dass es bei den Wahlen in Istanbul eine organisierte Korruption, eine totale Gesetzlosigkeit und Rechtswidrigkeit gegeben hat", sagte Erdoğan vor seiner Partei in Ankara.
Erdoğan wies zudem Kritik von Unternehmern scharf zurück, die sich besorgt über die wirtschaftliche Lage des Landes gezeigt hatten. Diese hätten "ganz eigenartige Erklärungen" abgegeben, sagte Erdoğan. "Ihr begeht einen Fehler. Jeder muss seine Grenzen kennen." Die Unternehmer sollten ihre Arbeit machen. "Wenn ihr Erklärungen abgebt, die regelrecht dem Wesen eines Eingriffs in die Entscheidung der Wahljustiz gleichkommen, dann zeigt das ganz schön, wo ihr steht und welchen Platz ihr eingenommen habt", sagte Erdoğan.
Schlagkräftige Beweise für angebliche Manipulationen der Istanbul-Wahl hat die AKP nicht vorlegen können. Doch die bei Weitem größte Stadt der Türkei hat symbolischen Wert für Erdoğan: Istanbul war 25 Jahre lang von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert worden. Die Niederlage für die AKP war ein Gesichtsverlust für Erdoğan, der selbst einst Bürgermeister von Istanbul war.
EU will Wahlbeobachter schicken
Imamoglu bezeichnete die Entscheidung als „Verrat“. „Vielleicht seid ihr aufgebracht, aber verliert nie eure Hoffnung“, sagte der CHP-Politiker am Montag vor tausenden Anhängern in Istanbul. Die Menge skandierte "Recht, Gesetz, Gerechtigkeit“ und forderte die Mitglieder der Wahlkommission zum Rücktritt auf. In mehreren Bezirken Istanbuls standen die Menschen an den Fenstern und schlugen auf Töpfe und Pfannen - eine Protestform, die sich während der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 etablierte hatte.
Kritik kam am Dienstag von der EU: Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte Aufklärung darüber, wie die Entscheidung zustande kam. "Die Rechtfertigung für diesen weitreichenden Beschluss, der in einem hochpolitisierten Umfeld gefällt wurde, sollte der Öffentlichkeit unverzüglich zugänglich gemacht werden", erklärten Mogherini und EU-Kommissar Johannes Hahn. Zugleich verlangten die beiden EU-Vertreter, die Türkei müsse Wahlbeobachter des Europarates zu dem neuen Urnengang einladen. Die Sicherstellung eines freien, fairen und transparenten Wahlprozesses sei entscheidend für jede Demokratie und ein Kern der EU-Beziehungen zur Türkei.
Bundeskanlzer Sebastian Kurz ging einen Schritt weiter. "Wer demokratische Wahlen nicht akzeptiert, hat in der EU nichts verloren", sagte der ÖVP-Chef in einer Stellungnahme. Er forderte einmal mehr einen endgültigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. "Es gibt immer noch starke systematische Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit", kritisierte Kurz.
(APA/AFP/dpa/Reuters)