ORF distanziert sich von Böhmermann. Warum eigentlich?

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Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann wurde anlässlich seiner Ausstellung in Graz im ORF-Kulturmontag interviewt. Dort distanzierte man sich von seinen „provokanten und politischen Aussagen“.

Der ORF und Jan Böhmermann, das ist eine Beziehung mit Schwierigkeiten. Der deutsche Satiriker hat derzeit eine Ausstellung im Grazer Künstlerhaus, wo er sich unter dem Titel „Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich“ (die fehlerhafte Rechtschreibung ist beabsichtigt) auch mit der österreichischen Politik auseinandersetzt. Nur: Drehen durfte der ORF in der Ausstellung nicht, bloß im (minder spannenden) Eingangsbereich. Für ein Interview stand der Satiriker aber immerhin bereit. ORF-Redakteur Christian Konrad sprach mit Böhmermann, das Gespräch wurde im gestrigen „Kulturmontag“ gesendet. Nun sorgt es für Wirbel, doch nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Reaktion in der ORF-Sendung: „Der ORF distanziert sich von den provokanten und politischen Aussagen Böhmermanns“, sagt „Kulturmontag“-Moderatorin Clarissa Stadler gleich nachdem das Interview gezeigt wurde. „Aber wie Sie wissen, darf Satire alles, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk künstlerische Meinung wiedergeben.“

Diese Praxis ist neu. Im „Kulturmontag“ werden häufig Künstler interviewt, die der aktuellen Politik kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. Dass der ORF sich von ihnen distanziert, hörte man bislang nicht. Warum also bei Böhmermann? Im Vergleich mit seinen anderen Auftritten, jüngst etwa bei der Romy, ist er im ORF-Interview nicht härter oder polemischer. Zwar nennt er Österreich ein Land mit „acht Millionen Debilen“ – aber damit zitiert er den Schriftsteller Thomas Bernhard, inzwischen 30 Jahre tot.

Was hat den ORF also zu diesem Schritt bewogen? Dass Böhmermann sagt, der „Ruf nach autoritärer Führung ist immer noch sehr laut?“. Oder sind es die ORF-kritischen Aussagen des Satirikers, immerhin diskutiert die türkis-blaue Regierung derzeit über ein neues ORF-Gesetz, dass den Sender stärker von der Politik abhängig machen würde. Böhmermann fragt Interviewer Konrad etwa, ob er überhaupt noch was zu lachen habe, denn er habe gehört, dass der ORF demnächst „umbenannt wird in FPÖ TV".

„Dürfen Sie das überhaupt senden, was ich sage?“

Oder sind die Aussagen zu Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu provokant? „Ein 32-jähriger Bundeskanzler ist übrigens nicht normal“, sagt Böhmermann, selbst 38. „Ich würde auch nicht wollen, dass ein 38-Jähriger Bundeskanzler ist. Ab 40, aber da muss man schon Macron-Kaliber haben. Aber Ihren Versicherungsvertreter mit dem ganzen Haargel: Haben Sie da niemand Besseren? Und dürfen Sie das überhaupt senden, was ich sage?“ Ob Kurz den Vergleich mit einem Versicherungsvertreter tatsächlich beleidigend findet?

Dann wird das Interview abwegig. Konrad fragt den Satiriker, ob man einen Deutschen brauche, der einem das sage und Böhmermann antwortet: „Wir haben ja vor 80 Jahren auch einen Österreicher gebraucht, der uns sagt, wo's langgeht. Das war auch ein Künstler, auch ein unseriöser Typ. Jetzt drehen wir den Spieß mal um. Jetzt kommt mal ein Deutscher nach Österreich über die Grenze und sagt, was Sache ist.“ Den Namen hat Böhmermann nicht ausgesprochen, aber offensichtlich ist die Rede von Adolf Hitler. Ob sich der Satiriker wirklich mit dem Diktator vergleichen wollte? „Am Ende wird kein Völkermord stehen“, verspricht Böhmermann. „Sondern höchstens Spaß für die ganze Familie.“ Aus diesem Fettnäpfchen hat sich Böhmermann nur halb gerettet.

Als Deutscher werde man in Österreich sowieso nicht ernst genommen und gemocht, so der Satiriker. Da könne man gleich die Rolle des Unbeliebten spielen. Und „wenn es ganz schieflaufe, sei man „in 'ner halben Stunde mit dem Panzer von München in Salzburg. Und wenn's ganz hart auf hart kommt, machen die Österreicher sowieso bei allem mit, was wir machen.“

„Politiker machen keine Satire“

Vielleicht ist es ja die folgende Passage, die den ORF zur Distanzierung bewogen hat: Es sei kein Zustand, wenn der Vizekanzler auf Facebook „volksverhetzende Scheiße“ poste oder Journalisten angreife und hinterher behaupte, das sei Satire, sagt Böhmermann. „Politiker machen keine Satire.“ Wenn ein Politiker Quatsch mache und später behaupte, das sei ein Witze, würde er „ganz doll aufpassen.“

Heftige Kritik übt Böhmermann an Identitätspolitik. Was das sei, „außer eine verklausulierte Entschuldigung dafür, rassistisch zu sein, mit akademischem Unterbau“, fragt er. Was sei die österreichische Identität? „Gibt's das überhaupt?“ Böhmermann vermutet, dass Identität eher etwas Regionales, Persönliches sei.

„Die Hand ist immer ausgestreckt“

In der Schlussphase wird das Interview gar versöhnlich, als die beiden über die kommende Europawahl sprechen. Die Idee Europa bedeute für Böhmermann, dass „ein deutscher Künstler im österreichischen Fernsehen – solange es das noch gibt, toi toi toi – sagen kann, was er möchte.“

Dann wird der Satiriker fast schwärmerisch: „Wir haben nur uns, um sich aneinander festzuhalten in Europa. Und die Hand ist immer ausgestreckt. Auch wenn man Quatsch erzählt“. Man müsse aufeinander zugehen. Hier über er Kritik an dem „Ratten-Gedicht“ eines FPÖ-Politikers: „Man nennt Menschen nicht Ratten und Ungeziefer. Das macht man nicht“, sagt Böhmermann.

Unterstützung fordert er für den von FPÖ-Politikern heftig kritisierten „ZiB 2“-Moderator Armin Wolf: Wenn man einen Journalisten wie Armin Wolf im ORF habe, müsse man sich nicht fragen, wieso er da stehe. Sondern 'Wieso steht er als Einziger da?“, sagt Böhmermann „Immer schön stehenbleiben, das ist das Wichtigste.“ Auch wenn die Beziehung zwischen Böhmermann und dem ORF keine einfache ist: Mit dieser Aussage hat der deutsche Satiriker sicher mehr als einen Fan am Küniglberg gewonnen.

>> Der „Kulturmontag“ in der ORFTVthek

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