„Von einer ungetrübten Kauflust kann nicht die Rede sein"

Die Mehrumsätze im Handel liefert Online ab. Die Geschäfte in den Einkaufsstraßen stagnieren.
Die Mehrumsätze im Handel liefert Online ab. Die Geschäfte in den Einkaufsstraßen stagnieren.(c) Clemens Fabry
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Der heimische Geschäfte müssen gegen den immer stärkeren Konkurrenten Online und den Strukturwandel ankämpfen.

Die Österreicher haben 2018 im gesamten Einzelhandel 62,1 Milliarden Euro ausgegeben. Laut einer Marktanalyse von Branchenradar.com entspricht dies einem nominellen Plus von 2,2 Prozent. Die präsentierten Zahlen lassen beim Handelsverband jedoch keine Jubelstimmung aufkommen. Denn berücksichtigt man bei den einzelhandelsrelevanten Haushaltsausgaben auch die Inflation, bleibt real nur mehr ein Mini-Plus von 0,2 Prozent übrig. „Von einer ungetrübten Kauflust der Privathaushalte im Lande kann nicht die Rede sein", bringt es Studienautor Andreas Kreutzer, Geschäftsführer von Branchenradar.com, auf den Punkt.

Die derzeit diskutierte Steuerreform, die 2020 in einer ersten Etappe vor allem die geringeren Einkommen entlasten soll, kann ein Silberstreif am Horizont für die Händler sein. Hatten doch bei der letzten großen Tarifentlastung 2016 die Einzelhandelsausgaben inflationsbereinigt um 1,1 Prozent zugelegt. Das bedeutet eine deutliche Abweichung nach oben im Vergleich der letzten Jahre. Kreutzer glaubt, dass vor allem der Tourismus und die Gastronomie von dem Mehr im Geldbörserl profitieren werden.

Der Internethandel, der mit einem Plus von 11,2 Prozent gegenüber 2017 weiter zweistellig zulegt, werde weiter wachsen und von den Mehrausgaben der Haushalte wesentlich mehr abschöpfen als der stationäre Handel. E-Commerce wächst, so die Studie, nicht nur in Branchen, die online noch geringe Quoten aufzuweisen haben, sondern auch bei Büchern, Elektroartikel, Bekleidung und Sportausrüstung, also in Branchen, die bereits hohe Online-Anteile haben. Das schnellste Wachstum verzeichnet E-Commerce bei Kosmetika, DIY-Produkten für Haus und Garten und Einrichtung.

Sportartikel im Aufwind

Wenn man rein den stationären Handel betrachtet, reduziert sich der Überschuss bei einem Umsatz von 56,6 Milliarden Euro auf nominal 1,4 Prozent. Die Top-Drei-Branchen über den gesamten Einzelhandel waren Sportartikel mit einem Zuwachs von 5,8 Prozent dank eines boomenden Verleihgeschäfts bei Ski und Fahrrädern, Nahrungs- und Genussmittel mit plus 2,9 sowie der Modehandel mit Bekleidung und Schuhe, der um 1,9 Prozent zulegte.

(c) Handelsverband, Branchenradar

Relativ entspannt können die Lebensmittelhändler, von denen mit Rewe, Spar, Hofer und Lidl vier von ihnen das Ranking der größten 100 Einzelhändler Österreichs anführen, die Schlacht am Online-Buffet verfolgen. Auch wenn Nahrungsmittel online um 13 Prozent zulegten, ist der Anteil am Gesamtkuchen mit 1,7 Prozent noch ziemlich gering. Kreutzer führt dies auf die Restriktionen für das Frische-Sortiment zurück, das 57 Prozent der Lebensmittelausgaben ausmacht. Zudem gebe es in Österreich eine „unglaubliche Dichte“ an Lebensmittelgeschäften. „In den städtischen Regionen gebe es keine 500 Meter ohne Supermarkt", so der Handelsexperte. „Wer einmal zwei, drei faulige Erdbeeren in einer ganzen Tasse bei einer Online-Bestellung entdeckt hat, wird künftig die Finger davon lassen", sagt er.

(c) Handelsverband, Branchenradar

Der Handel zeigt sich auch mit den Rahmenbedingungen unzufrieden. So sind für Norbert Scheele, Country Manager für CEE beim Modekonzern C&A, die Zuschläge für Arbeitszeiten, die außerhalb der früheren Normarbeitszeiten zwischen 8 und 18 Uhr wochentags und 8 bis 13 Uhr an Samstagen mitverantwortlich, warum Händler die gesetzlich möglichen Öffnungszeiten gar nicht ausschöpfen. Seit kurzem hat das C&A-Geschäft in der Mariahilfer Straße nur mehr bis 20 Uhr geöffnet. „Wenn das Unternehmen bis 21 Uhr das Geschäft offen hält, braucht er für die Stunde von 20 Uhr bis Geschäftsschluss 22 Mitarbeiter, die ihm jedoch 44 Stunden kosten", rechnet er im Gespräch mit der „Presse“ vor.  Die Arbeitszeit nach 20 Uhr wird nämlich mit einem Zuschlag von 100 Prozent versehen. „Diese Stunden kann man dann tagsüber weitaus besser und produktiver einsetzen", erklärt der C&A-Manager. Zumal bedingt durch die Zuschlagsregeln - auch von 18 bis 20 Uhr sind  bis zu 50 Prozent Zuschlag zu verrechnen -  ohnehin schon ein Großteil der Mitstreiter in der größten Einkaufsstraße Österreichs von Bord gegangen sind. Nur mehr eine Handvoll Geschäfte hat nach 19 Uhr geöffnet. „Erst wenn es bei den Zuschlägen Verbesserungen gibt, werden wieder mehr Geschäfte offen halten", glaubt Scheele. Inzwischen machen es sich die Konsumenten in den Webshops bequem.

Zwischen 2006 und 2016 haben 10.000 Handelsgeschäfte für immer geschlossen. Auch die Verkaufsfläche ist deutlich zurückgegangen, von 2015 auf 2016 um 100.000 Quadratmeter. Laut einer kürzlich publizierten Studie von CB Richard Ellis sollen diese bis 2023 um weitere sieben Prozent sinken. In der Folge könnten B- und C-Lagen durch Webshops ersetzt werden, was wiederum zu einer Verödung von Geschäftsstraßen führen könnte.

Stillstand bei den Rahmenbedingungen

Auch deshalb fordert Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will ein Standortpaket für den stationären Handel. Er nennt es eine „Entdiskriminierung der Fläche". Neben einem Zuschlagswesen neu und  einer Senkung der Lohnnebenkosten tritt der Verband auch für eine Abschaffung der Mietvertragsgebühr ein. So müssen Händler, die beispielsweise vier Monate vor einer Geschäftseröffnung einen Mietvertrag unterzeichnen, die Gebühr zu einem Zeitpunkt abliefern, wo sie mit diesem Geschäft noch keinen Euro Umsatz erzielt haben. „Hier holt sich der Finanzminister von kleinen Start-Ups eine Vorfinanzierung", so Will. Auch bei der Ausweitung der Tourismuszonen, der Raumordnung und der Ablösethematik bei Geschäftslokalen sieht der Handelsband deutlichen Handlungsbedarf.

Dass sich in der Entwicklung zwischen stationär und online in absehbarer Zeit etwas ändern werde, ist kaum zu erwarten. „2018 ist die Zahl der Pakete um über 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen", weiß Rainer Will. Deshalb fordert er mehr Fairness im Online-Geschäft. In einem „New Digital Deal“ hat der Handelsverband sieben Hebel aufgelistet, der dies fördern soll. Dazu zählt für ihn auch die Abschaffung der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiung für Pakete  mit einem Warenwert von unter 22 Euro aus Drittstaaten, speziell aus China. Doch vieles geht Will zu langsam.  „In Schweden wurde diese Regelung aber erfolgreich binnen drei Monaten umgesetzt", weiß er. Das brauche hier alles viel zu lange, die EU will diese Regelung erst 2021 umsetzen. Jetzt setzt der Verband für einen früheren Starttermin auf die heimische Regierung.

Mehr Unterstützung erwartet man auch von anderer Seite. Der neue Wirtschaftskammerpäsident Harald Mahrer lasse sich in den vergangenen Monaten kaum blicken, heißt es in Handelskreisen. Auch würden alle Vorschläge zu Verbesserungen der Rahmenbedingungen immer auf ein Match Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer reduziert, ortet man viel Stillstand in der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern.

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